Das Erlkönig-Manöver
knebelten bereits den Adjutanten, der benommen, aber nicht von Sinnen war –, doch die Gefährten konnten nicht sehen, dass hinter dem Sekretär Santing über Arnim lag und seine Hände wie ein Eisenring immer fester um dessen Hals schraubte. Arnim rang nach Luft. Sosehr er auch nach dem Capitaine schlug, den Würgegriff konnte er nicht lösen. Blind tasteten seine Finger umher nach einer Waffe und fanden nur ein heruntergefallenes Tintenfass, das er wirkungslos an Santings Stirn zerschlug. Schwarz wie der Leibhaftige, schwebte nun Santing über ihm. Arnim spürte seinen Herzschlag stocken. Seine Kraft verließ ihn. Dann war die Luft plötzlich erfüllt von Splittern. Santings schwerer Körper sackte auf Arnim nieder, und dahinter stand Kleist, die Lehne des Stuhls, den er soeben über Santings Schädel zertrümmert hatte, noch in den Händen. Arnim schob den leblosen Körper von sich. Kleist half ihm wieder auf die Beine. Tintentropfen hatten Arnims Rock gefärbt wie schwarzes Blut. Gemeinsam deponierten sie den bewusstlosen Capitaine bei seinem gebundenen Adjutanten.
Goethe räusperte sich. »Gut. Gut. Gut. Das alles entspricht zwar nicht dem ausgeklügelten Plan des Herrn S. wird aber hoffentlich doch ein gutes Ende nehmen.«
»Wer seid ihr?«, rief der Gefangene, ebenfalls auf Deutsch und noch immer aufgewühlt.
»Still! Still! wir kommen, Eure Hoheit zu befreien! Verbündete Eurer Eltern schicken uns.«
»Aber ihr tragt die Röcke der Nationalgarde!«
»Maskerade«, sagte Goethe. »Nur einen Schritt noch, und Euer Hoheit sind frei.«
»Dann wollt ihr mich nicht töten?«
»Wenn wir Euer Hoheit hätten töten wollen«, sagte Bettine und senkte ihre Klinge, »hätten wir es doch längst getan.«
Nun stapfte Kleist wütend auf den Mann zu. »Warum, zum Henker!, haben Euer Hoheit nicht die Anweisungen des Mönchs beherzigt? Ihr bringt uns alle mit Euerm Theater in größte Gefahr!«
»Wieder dieser wunderliche Mönch! Bei meiner See le, ich sah keinen Mönch!«
Kleist schüttelte den Kopf. »Aus diesem Wirrwarr fin de sich ein Pfaffe!«
»Wie kommen wir jetzt hinaus?«, fragte Arnim, seine Stimme ein Krächzen.
»Mit Haltung«, erwiderte Goethe. »Man sah uns kommen, man wird uns gehen sehen. Das Palais ist beinahe leer. Niemand wird uns aufhalten.«
»Ich wage zu widersprechen«, sagte nun der Präfekt, der die aufgebrachte Debatte aufmerksam verfolgt hatte. »Mayence ist eine Festung. Niemand kommt hinein, aber es kommt auch niemand hinaus.«
»Das dürfen Sie getrost unsre Sorge sein lassen, Mon sieur le Préfet .«
»Ihr Diener.«
Noch während Goethe über ihren Rückzug sinnierte, den neuen Schnurrbart nervös zwischen den Fingern zwirbelnd, hob Bettine jählings den Hirschfänger und schleuderte ihn durch die offene Tür ins Nachbarzimmer. Das Messer schlug im Holz der gegenüberliegenden Tür ein – durch die gerade der Kommis des Präfekten, der des Aufruhrs stummer Zeuge gewesen war, heimlich entfliehen wollte. Beeindruckt von diesem Wurfgeschoss, legte der Mann die Hände an den Hinterkopf, um sich den Angreifern zu ergeben. Humboldt fesselte auch ihn mit dem Kordon der Gardine.
»Eine rechte Amazone!«, jubelte Kleist. »So steckt die Frau ins Panzerhemd und mich in den Weibsrock!«
Goethe schob seine Pistole zurück ins Futteral. »Brechen wir auf. Gebe Gott, dass Herr S. wenn er schon nicht beim Zuchthaus war, doch wenigstens bei der Kutsche wartet. – Haben wir noch Seil, den Herrn Präfekten auch zu fesseln und zu knebeln, oder –?«
Kleist hatte den schweren Löscher genommen, der trotz des Gerangels noch auf dem Tisch lag, und ihn Jeanbon Saint-André von hinten über den Schädel geschmettert. Der Präfekt fiel vornüber aufs Parkett.
»Das beantwortet meine Frage«, sagte Goethe, und mit Blick auf den Löscher: »Worte sind des Dichters Waffen.«
Zwei Mann niedergeschlagen und zwei gefesselt, verließen die Gefährten das Bureau des Präfekten, den Mann in Ketten in ihrer Mitte. Zahlreiche Soldaten säumten ihren Weg ins unterste Geschoss, aber keiner von ihnen machte Anstalten, sie aufzuhalten.
»Dies Palais ist eine Sache«, raunte Humboldt, »nur wird es an den Stadttoren, fürchte ich, etwas diffiziler.«
» Pas de problème. Sie zücken die Vollmacht, und man lässt uns durch.«
» Sie haben die Vollmacht.«
Goethe blieb in der Mitte der Treppe stehen, und die anderen folgten seinem Beispiel. »Wie bitte?«
»Sie haben die Vollmacht, sage ich. Ich habe sie
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