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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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Schiller dem Tier und sprach zutrauliche Worte. Das Ross ließ es geschehen und verharrte auch, als er plötzlich von lautem Husten geschüttelt wurde. Schiller strich dem Tier über die nasse Flanke und schwang sich dann auf dessen Rücken. »Bald haben wir es geschafft, und dann für mich gütigen Schlaf und für dich fünf Scheffel Hafer.«
    Quer über die brachliegenden Felder galoppierten die beiden Überlebenden, in einem großen Bogen um das französische Kastel nach Kostheim.

    Vor der Herberge im Flecken Kostheim, in der Madame Bottas russischer Kutscher Quartier genommen hatte, traf Schiller seine Gefährten wieder, die sämtlich ihre Uniformen ab- und ihre gewöhnlichen Kleider wieder angelegt hatten. Kleist und Humboldt, die bereits auf der Suche nach Schiller ausreiten wollten, waren die Ersten, die ihn mit einer kräftigen Umarmung und feuchten Augen begrüßten. Bettine weinte, derweil sie den zitternden Schiller in eine Decke hüllte, und Arnim, den man wegen seiner Schussverletzung im Bein bereits in Boris’ Kutsche gebracht hatte, steckte seinen Kopf so weit zum Fenster heraus, dass er fast vornüberfiel. Boris und der Dauphin standen als stumme Beobachter daneben. Man hatte dem Sohn des Königs die Ketten entfernt und ihm einen neuen Rock und einen Laib Brot gegeben. Sein Hunger war so groß, dass er selbst während dieser rührenden Szene schüchtern weiteraß.
    »Solch ein Triumph!«, sagte Kleist. »Wenn Mainz das Schaufenster Frankreichs ist, dann, sag ich, haben wir so eben einen schönen Wackerstein in die Scheibe geworfen.«
    Der letzte Gratulant zu Schillers Rheinüberquerung war Goethe. Er reichte ihm die Hand und sagte: »Sie haben Ihre Frisur lädiert.«
    Schiller strich sich durch die feuchten Locken. »In der Tat.«
    »Ich besorgte schon das Schlimmste. Geht es Ihnen wohl?«
    »Wohl wie dem Fisch im Wasser.«
    Goethe lächelte. »Madame, Messieurs«, sagte er, an alle gewandt, »die Träne quillt, die deutsche Erde hat uns wieder – aber verschieben wir die Siegesfeier auf ein andermal, nun heißt es zuvörderst: die Kräfte gesammelt und Flucht! Wir bleiben nicht. Denn wiewohl wir zurück in Nassau sind, ist Napoleons Grenze nur einen Steinwurf entfernt, und vielleicht sind unsre Bonapartisten irrsinnig genug, uns auch in der Fremde nachzustellen. Drum geschwind zu Pferde, und plaudern wir von unsren Abenteuern, wenn wir einige Meilen zwischen uns und die Franken gebracht haben.«
    »Die Nacht sichert uns vor der Verfolgung«, meinte Schiller. »Und wenn der Gegner keine Flügel hat, fürchte ich keinen Überfall.«
    Louis-Charles kletterte mit seinem Brot zu Boris auf den Bock und Schiller zu Arnim in die Kutsche. Derweil sich die Gruppe in Marsch setzte, Kostheim entlang des Mains zu verlassen, entledigte sich Schiller seiner nasskalten Uniform und schlüpfte in trockene Kleider.
    Nun musste sogleich Arnim berichten, was sich im Deutschhaus zugetragen hatte und wie sie durch Kastel gekommen waren und den alarmierten Wachen dort ein Lügenmärchen auftischten von einem britischen Attentat, das sich in Mainz ereignet hatte, sodass es der Gruppe, einmal mehr dank Fouchés freundlicher Ermächtigung, ein Leichtes gewesen war, die Stadt ohne langwierige Kontrollen zu verlassen. Schiller im Gegenzug schilderte den Unfall des unglücklichen Schieferdeckers und seinen unverhofften priesterlichen Beistand, der verhindert hat te, dass er rechtzeitig das Zuchthaus erreichen und den Dauphin in Kenntnis ihres Planes setzen konnte – ein Umstand, der ihr Vorhaben um ein Haar hätte scheitern lassen.
    Schließlich besah Schiller Arnims Schenkel. Santings Blei hatte an der Seite eine Furche ins Fleisch gerissen. Es war eine schmerz-, aber keine ernsthafte Wunde.
    »Diese Narbe wird Ihnen schön stehen«, sagte Schiller.
    »Pah! hat noch Platz genug für ihrer dreißig«, gab der Berliner jovial zurück. »Fast hätte dieser bairische Galgenstrick auch Sie durchlöchert, behüt’s Gott!«
    »Dafür ist er diesen Abend dem Teufel Extrapost zugefahren. Das Pulver muss ihn in tausend Stücke gerissen haben. Ich möchte wetten, dass sein Aas itzt auf Väterchen Rhein dem Meere zutreibt.«

6
    SPESSART

    Als der Tag anbrach, machten sie auf einem Mühlen berg vor Hattersheim Rast. Die Wolken waren so dicht, dass der Sonne Rund im Osten nicht einmal zu er ahnen war. Es ging kaum Wind, und die Flügel der Müh le standen still. Boris hatte sogleich ein Feuerchen entfacht, um den müden Königsräubern

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