Das Erlkönig-Manöver
einen Kaffee zu brauen. Der schweigsame Dauphin half ihm, einiges Brennholz zu sammeln. Als das Feuer brannte, griff Kleist einen Span aus den Flammen, um sich damit, ungeachtet der frühen Stunde, seine Tabakspfeife zu entzünden, und genüsslich schmauchend ging er auf und ab. Schiller hieß Arnim, sich auf einen Meilenstein am Wegesrand niedersetzen. Dann holte er Nadel und Faden aus seinem Tornister, um die Schussverletzung mit wenigen Stichen zu nähen. Arnim presste die Kiefer fest aufeinander und erlaubte sich nicht auch nur die leiseste Wehklage. Bettine stand neben ihm und hielt seine Hand.
»Wie tapfer du bist«, sagte sie dabei. »Sah man je so einen tapfren Mann? Gesundküssen will ich dich für deinen Heldenmut.«
Goethe trat zu den Dreien, um Arnim den ersten Becher dampfenden Kaffees zu überreichen. »Was meinen Sie, Herr von Arnim, können Sie mit dieser Wunde reiten?«
»Ich könnte wohl, aber warum sollte ich nicht in der Kutsche bleiben?«
»Weil dies der Zeitpunkt ist, da sich unsre Wege trennen.«
Bettine sah erschrocken auf, und auch Arnim beirrte dieses Wort.
»Ich möchte nicht mit dem Prinzen durch Frankfurt reiten«, erklärte Goethe, »denn das würde nur unliebsames Aufsehen erregen. Und der beste Weg, die Stadt zu umgehen, ist im Süden. Bei Okriftel werden wir also über den Main setzen; Sie aber können zu Pferde zurück nach Frankfurt. Sosehr ich bedaure, dass uns für unsern Abschied nicht mehr Zeit und kein schönerer Ort gegeben ist.«
»Wir sollen die Gruppe verlassen?«, rief Bettine aus. »Aber noch ist der Auftrag nicht erfüllt! Ich will nicht um den Augenblick gebracht werden, da wir mit dem Dauphin in Eisenach triumphal einreiten. Bring uns nicht um diese Freude!« Noch während Goethe nach Worten such te, setzte Bettine nach: »Und mehr, ich will nicht zurück nach Frankfurt! Wenn ich an Frankfurt denk, wird’s mir übel. Gönn uns noch ein paar Tage auf der freien Straße mit euch freien Brüdern, bevor ich zurück zu den Frankfurter Kleinbürgern muss!«
»Und Herrn von Arnims Verletzung?«
»Heilt an der frischen Luft so gut als im königlichen Daunenbette«, sagte Feldscher Schiller, »wenn er mir verspricht, künftig die Häuser durch die Tür zu verlassen.«
»Was meinen Sie?«, fragte Goethe Arnim. »Immerhin gaben Sie Herrn Brentano Ihr Wort, auf seine Schwester achtzugeben.«
Kleist, der das Zwiegespräch mitverfolgt hatte, rief, die Pfeife noch im Mundwinkel: »Bleiben Sie bei uns, Freund!«
Arnim sah von Kleist zu Bettine, und als diese seine Hand noch kräftiger drückte, antwortete er: »Ich werde auch weiter auf Bettine achtgeben – aber was wäre ich für ein Spatzenkopf, wenn ich uns auch nur um einen Tag dieser werten Gesellschaft brächte.«
Aus Freude über Arnims Zusage drückte ihn Bettine kurzerhand an die Brust und setzte ihm einen Kuss auf das blonde Haar. »Wir fahren auf die Wartburg, Junker Joachim!«
»So wird auch mir nicht die Möglichkeit genommen, mein in der Kirche getanes Versprechen einzulösen, allen Recken eine Runde auszugeben«, sagte Schiller, derweil er den Verband um Arnims Schenkel erneuerte.
»Erst eine Runde Kaffee und dann den Tag durch geritten«, meinte Goethe. »Feiern wollen wir, wenn die Gäule nicht mehr können.«
»Soll ich nach Ihrem Scheitel sehen?«
»Das tut nicht not. Die alte Wunde, leidig erneuert. Bis Weimar ist hoffentlich neuer Grind darüber gewachsen.«
Als man schweigend das heiße Bohnengetränk zu sich nahm, meldete sich erstmals der junge Louis-Charles zu Wort. »Zwar sind wir noch nicht vollends außer Gefahr«, sagte er mit leiser Stimme in reinem Deutsch, »aber dennoch möchte ich diesen Moment nutzen, mich schon jetzt bei Ihnen allen für Ihre Heldentat zu bedanken. Sie haben mich ohne Rücksicht auf Leib und Leben aus dem finstersten aller Kerker befreit. Ich bin ein Nichts, ein König ohne Land, ohne Reichtümer, ohne Familie – aber sollte ich je wieder mehr erlangen, will ich es Ihnen hundert- und aberhundertmal vergelten. Und sollten Sie, was der Herrgott behüte, je in Gefahr geraten, gelob ich’s hier: Ich will mein Blut geben für Sie, das letzte meines Herzens, wie Sie es so furchtlos für mich getan haben. Gott segne Sie alle.« Hier brach seine Stimme, und Tränen quollen aus seinen Augen. Er wandte sich schamhaft von ihnen ab. »Verzeihen Sie mir meine Schwäche, aber die letzten Tage –« Die übrigen Worte wurden von den Tränen erstickt.
Schiller war der Erste
Weitere Kostenlose Bücher