Das Erlkönig-Manöver
Irgendwo klopfte ein Specht den Lenz herbei.
Der Schankraum war einfach, aber im Vergleich zum kühl-dunklen Wald mehr als einladend: Drei Tische standen hier mit den unterschiedlichsten Stühlen, dazu ein Armsessel mit abgeriebenem Lederbezug und eine Bank um den großen Ofen, in dem ein kleines Feuerchen brannte, das der Wirt aber versprach umgehend mit frischen Scheiten zu mästen. Von der Decke hingen Kräuter und Zwiebeln, vor allem aber derbe Würste und einige Schinken, deren Düfte die Reisenden geradezu ambrosisch anmuteten. Die Stube war leer bis auf einen schlafenden Weimaraner vor dem Kamin und zwei Hühner, die die Krumen der letzten Mahlzeit vom Estrich aufpickten, bis die Wirtin Hund und Hühner mit einem Besen aus dem Haus scheuchte.
Der Sonnenwirt führte die Gefährten treppauf zu den Zimmern, die ebenso einfach waren wie die Schankstube, deren Betten aber nach den Nächten in der Kutsche, in der Glashütte und in der verwaisten Kirche unendlich verlockend erschienen. Ein Zimmer sollten sich Bettine und Arnim teilen, das andere fiel Humboldt und Kleist zu und das dritte Schiller und Goethe, damit Karl schließlich ein Zimmer für sich allein haben konnte. Schiller fand es aber bei aller Abgeschiedenheit des Wirtshauses unweise, den Dauphin alleine schlafen zu lassen, und offerierte sich als Zimmergenossen, ein Vorschlag, dem jener gerne zustimmte. Der russische Kutscher wollte auf eigenen Wunsch im Stall bei den Pferden schlafen.
Es war vereinbart, sich nach Schlaf und Bad – beides war in gleichem Maße unerlässlich – am späten Abend wieder in der Stube zu treffen, um bei Trank und Speisen die tollkühne Tat von Mainz schicklich zu zelebrieren. Der Sonnenwirt versprach, seinen Keller nach den besten Tropfen zu durchstöbern und seinem Weibe aufzutragen, wahre Fuhrmannsportionen zu kochen.
»Ich bin so erschöpft«, sagte Kleist, bevor er die Tür seiner Kammer schloss, »dass es scheint, als ob alle Betten, in welchen der Kaiser ruht, mich nicht wieder auf die Beine bringen würden.«
Und dennoch war Kleist der Erste, der sich nach dem Nickerchen, frisch rasiert und mit einem frischen Rock am Leibe, wieder in der Wirtsstube einfand. Draußen war ein ungemütlicher Wind aufgekommen, der die Fichten knarrend aneinanderrieb und die Zapfen von den Zweigen blies, aber im Ofen loderte längst das versprochene Feuer. Der Weimaraner war zurück ins Haus gelassen worden und hatte sich auf seinem angestammten Platz vor dem Kamin zusammengerollt. Kleist ließ sich im Lehnsessel nieder, stopfte sich seine Pfeife und betrachtete beim Schmauchen die Tochter des Hauses, die auf der Bank, den Rücken gegen den Ofen gelehnt, einen Scherenschnitt fertigte. Mit kunstgeübter Hand schnitt sie ein Antlitz in den schwarzen Karton.
»Wie heißt du, Kind?«, fragte Kleist.
»Katharina, verehrter Herr.«
»Nun, Katharina, wes Schattenriss schneidest du da so emsig ins Papier?«
»Des Reichskanzlers Dalberg, verehrter Herr.«
Kleist lachte auf, verschluckte sich am Rauch seiner Pfeife und musste husten. »Dalberg! Dass Gott erbarm! Weshalb gerade der?«
»Es gibt einen Händler in Aschaffenburg, der verkauft in seinem Laden die Silhouetten großer Deutscher, und er gibt mir zwei Groschen für jeden Schnitt.«
»Aber Dalberg ist kein großer Teutscher, Mädchen. Der macht gemeine Sache mit dem bösen Geist Napoleon.«
Um eine Antwort verlegen, schaute das Mädchen auf das schwarze Papier in seiner Hand. Vom Profil des Kanzlers war bislang nur der Hinterkopf ausgeschnitten.
»Gib deiner Schere edlere Kost«, empfahl Kleist. »Wirf den Dalberg ins Feuer, und schneide große Teut sche, die dieses Titels auch würdig sind.«
»Wen denn, mein Herr?«
»Franz von Österreich vielleicht … Prinz Louis Ferdinand, Luise von Preußen … oder große Denker, wie Kant, Lessing oder Goethe.«
In ebendiesem Augenblicke polterte es auf den Treppen, und beinahe als hätte er gehört, dass man von ihm gesprochen, trat Letztgenannter auf. Auch Goethe hatte der kurze Schlaf sichtlich erquickt, und bis auf die Wun de auf seinem Kopf sah er aus, als käme er gerade die Trep pen seines Hauses am Frauenplan herab.
»General Moustache jetzt ohne?«, fragte Kleist mit Blick auf die kahlgeschorne Oberlippe des Geheimen Rats, wo ehemals der französische Schnauzbart gewesen war.
»Jungen Leuten und Franzosen mag so ein Schnauzer gut zu Gesichte stehen, aber nicht mir.«
»Ein schönes Antlitz entstellt nichts, Euer
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