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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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tritt. – Danken können wir Napoleon erst dann, wenn sich die kleingeistigen Germanen im Kampf gegen ihn vereinen zu einer großen, nein, titanischen Nation wie einst unter den Cäsaren.«
    Goethe, der unüblich lange still geblieben war, nutzte eine kleine Pause in der Unterredung, um sie wieder auf freundlichere Themen zu leiten. »Ich jedenfalls danke dem Herrgott, oder Ihrer Schutzgöttin, Herr von Kleist, dass sie Ihren Plan in Boulogne-sur-Mer vereitelte. Denn sonst würden Sie nicht bei uns in dieser trauten Runde sitzen, um mit uns zu feiern und zu trinken. Da ich davon spreche: Wirt! Noch ein Glas Branntwein, und mess christlich!«
    Der Sonnenwirt kam pflichteifrig mit dem Kruge, und erneut machte die Wildsau an jedem Glase ausgiebig Station. »Denn ich habe eine kleine Récompense für Sie in petto«, fuhr Goethe fort, als der Wirt die Stube wieder verlassen hatte. »Ich weiß, dass Sie alle Herrn Schiller und mich nach Mainz begleitet haben, weil Ihnen das Wohl des Königs am Herzen lag. Von einem Lohn war nie die Rede. Dennoch hat mir der Herzog für die Befreiung eine Summe Geldes mitgegeben, von der ich bislang nicht einmal die Hälfte aufgewandt habe. Da ich aber keinesfalls mit vollen Taschen zurück nach Weimar reiten möchte, bitte ich Sie, einen Teil dieses Geldes zum Dank für Ihre Gutherzigkeit anzunehmen.«
    Einen Augenblick schwiegen die anderen verblüfft, dann protestierte als Erster Humboldt und sofort darauf Bettine. Goethe dämpfte ihre Einwände. »Ich ahnte, dass Sie so reagieren würden, dennoch bestehe ich darauf, dass Sie das Geld annehmen. Vertrinken Sie es noch heu te Nacht, kaufen Sie sich einen neuen Rock, oder spenden Sie es einem Kloster, wenn Sie es partout nicht behalten wollen, aber nach Weimar zurück gehen diese Wechsel ganz sicherlich nicht. – Treteng! Treteng!« Eine Trompe te nachahmend, entnahm er der Innentasche seines Rocks die Wechsel, die er bereits mit Papierstreifen in gleich große Päckchen aufgeteilt hatte. »Hier sind 150 Reichsta ler für einen jeden, und wer jetzt noch protestiert, be kommt zur Strafe mehr.«
    »Gott segne Sie, Euer Exzellenz«, sagte Kleist.
    »Das soll Er getrost tun, aber es ist nicht mein Geld, und deshalb verdiene ich Ihre Dankbarkeit nicht.«
    Goethe wollte die Bündel eines nach dem anderen austeilen, aber es wurde vereinbart, dass das Geld bis zum Abschied auf der Wartburg bei ihm verbleiben solle, für den Fall, dass er doch noch einmal darauf zurückgreifen musste. Als Goethe die Wechsel wieder verstaut hatte, erhob Schiller seine Wildsau. »Meine teuren Freunde – denn so darf und so mag ich einen jeden von Ihnen nennen nach dieser turbulenten Woche dies- und jenseits des Rheins –, meine Freunde, nachdem wir gemeinsam dem Tod aus tausend Röhren ins Angesicht geschaut haben, genügt das Sie mir nicht länger. Erlauben Sie mir, dass ich mit Ihnen Brüderschaft trinke, und erlauben Sie mir als dem Ältesten der Anwesenden – nach Herrn von Goethe, von dem – mit Verlaub, Herr Geheimrat – ein solcher Vorschlag aber in hundert Jahren nicht käme; eher sehen wir den Rhein rückwärts fließen –, erlauben Sie mir also, Ihnen das Du anzubieten. Das ist mir wichtiger als alle Taler der Welt. Seid umschlungen! Ich bin der Friedrich.«
    Dieses Angebot erschütterte die Anwesenden regelrecht. Es war in etwa so, als hätte sie Papst Pius in Rom gebeten, mit ihnen per Du zu sein. Nur Goethe schmunzelte still in sich hinein.
    »Heinrich«, sagte dann aber Kleist in sichtbarer Ergriffenheit.
    »Bettine«, sagte Bettine.
    »Alexander«, sagte Humboldt.
    »Achim«, sagte Arnim.
    »Goethe«, sagte Goethe und fügte hinzu: »Im Gegensatz zu Herrn Schiller möchte ich tatsächlich keinen von Ihnen in die peinliche Lage versetzen, mich Graukopf anreden zu müssen wie einen Jüngling Ihres Alters.«
    Hierauf tranken alle ihren Branntwein. Ebenso schnell, wie die Gläser geleert waren, waren sie auch wieder gefüllt.
    »Welch ein erhabener Moment«, sagte Arnim.
    Schiller nahm einen Zug von seiner Pfeife. »Nur scha de, dass wir keinen Tischbein in unsrer Mitte haben, der uns re kleine Feierlichkeit skizzieren und später in Öl verewigen könnte.«
    »Oh, einen Tischbein haben wir vielleicht nicht«, sagte Kleist, »aber wir haben einen viel Bessren! Käthchen!«
    Die Tochter des Wirts, die die ganze Zeit über am Ofen verharrt hatte, schaute nun von ihrem Scherenschnitt auf. »Ja, verehrter Herr?«
    »Käthchen, Mädchen, lass doch für

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