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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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und drohte an, jeden seiner Räuber zur Leiche zu machen, der sich seinen Befehlen widersetze.
    Nun musste prompt ein Trinkspruch her, den diesmal Kleist ausgab: »Es möchte meinem hochgeehrten Herrn Hauptmann weder an Pulver der edlen Gesundheit noch an den Kugeln eines immerwährenden Vergnügens, weder an Bomben der Zufriedenheit, weder an Karkassen der Gemütsruhe noch an der Lunte eines langen Lebens ermangeln!« Die anderen schlugen sich schier die Schenkel vor Lachen über diesen Vortrag aus dem Stegreif, den Kleist mit trockenster Miene ablud und den Goethe mit ebenso trockener Miene entgegennahm.
    Dies war in ungefähr auch der späteste Zeitpunkt, an den sich noch alle Beteiligten am Morgen des nächsten Tages erinnern konnten, denn mit dem Glockenschlage zwölf – die Wirtin und ihre Tochter waren längst zu Bett – wurde das Bacchanal vollends kannibalisch. Ein Kork nach dem anderen wurde gelüftet, und bald hatte selbst Goethe so viel Wein und Branntwein getrunken, dass ihm die Zunge nicht mehr gehorchen wollte, wobei unfreiwillig die possierlichsten Wortverdreher entstanden, über die er still in sich hineinkicherte. Arnim erzählte, weil draußen der Wind so schaurig ums Haus pfiff, eine Gruselgeschichte, worauf Humboldt die wahre Geschichte vom Geist seiner toten Mutter, die nicht zur Ruhe kommen wollte, anfügte und von den unerhörten Schandtaten desselben im Schlosse der Humboldts zu Tegel berichtete. In der Folge wurden einige Lieder geschmettert, darunter noch einmal, in Reminiszenz an die Stromberger Freiheitspappel, die Marseillaise, dann aber auch, auf Kleists Anregung, Gott erhalte Franz den Kaiser, und Bettine forderte Arnim zum Tanze, so gut es dessen Schussverletzung zuließ, derweil die anderen den Takt dazu klatschten. Kleist hämmerte den Rhythmus mit dem leeren Branntweinkrug auf die Tischplatte, bis dieser brach und Kleist nur noch den Henkel in der Hand hielt. Einmal wirbelte Arnim seine Partnerin so geschwind herum, dass ihre Hand der seinen entglitt, sie stürzte und sich den Kopf an der Tischkante schlug, allen Schmerzen zum Trotze aber nur über ihr Missgeschick lachen konnte, während sie mit den Fingern über die Beule strich. Als aller Atem knapp wurde, ward das Konzert in der verräucherten Stube beendet. Arnim rief die traute Runde zur »deutschen Tischgesellschaft« aus, wider die Franzosen, die Ungläubigen und die ledernen Philister, scheiterte aber beim Versuch, eine Satzung ex tempore zu entwerfen. Bettine protestierte, da sie doch die Franzosen an und für sich gut leiden konnte. Für diesen streitsüchtigen Ausspruch jagte Arnim sie kreuz und quer durch die Wirtsstube, und als er sie endlich gefangen hatte, zog er sie zu sich auf den Schoß und bestrafte sie mit einigen Küssen. Ein neuer Krug war schnell vom umsichtigen Sonnenwirt gebracht, der das Geschäft seines Lebens witterte, und nur Humboldt hielt die Hand über den Zinnbecher, um zu bedeuten, dass er nicht nachgeschenkt haben wollte. »Ich bin dicht«, sagte er, worauf Kleist erwiderte: »Ich bin Dichter«, und dieses Bonmot ward im Allgemeinen als das köstlichste des Abends gerühmt. Schiller trank darauf beider Rationen, seine und die Humbo ldts, ein Entschluss, der sich in einer unbestimmbaren Gesichtsfarbe niederschlug. »Du bist blass, Friedrich«, sagte Bettine, und der Trinkkönig erklärte, sich vor der Tür erleichtern zu müssen. Beim Aufstehen fiel er fast zu Boden und musste von Humboldt gestützt werden.
    »Vergebt«, sagte er, »das Stehen wird mir sauer! Das Haupt ist frisch, der Magen ist gesund, aber die Beine wollen nicht mehr tragen.« Mit wackligen Schritten steuerte er die Tür des Wirtshauses an, und kaum dass er draußen war, hörte man unschöne Geräusche, von Flüchen unterbrochen.
    »Den hat die Wildsau umgerennt!«, feixte Kleist.
    Aber auch für die anderen Zecher war nun die Zeit gekommen, sich zurückzuziehen. Humboldt führte den Weg voran; wenig später folgten Kleist sowie Arnim und Bettine, die einander immer wieder mit Knüffen und Küssen neckten. Arnim stolperte auf den Treppenstufen.
    Goethe sah den schwankenden Gestalten nach. Er selbst blieb zurück, um mit dem Wirt die Rechnung zu begleichen. Obwohl es tief in der Nacht war, waren Rausch und Müdigkeit mit einem Mal verflogen. Also ließ er sich vom Wirt, bevor auch dieser die Lichter löschte und schlafen ging, noch einen Becher warme Milch bringen und setzte sich damit und mit Kleists Lustspiel in den Lehnsessel

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