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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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dass der Oheim seinem eignen Neffen den Tod wünscht? Napoleon soll einmal gesagt haben, dass, was sich bei den Bourbonen herumtreibe, nur mit Kleidern überdeckte Leidenschaften und Hassgefühle seien. Vielleicht ist dies Urteil nicht vollkommen falsch.
    Nach der Gefangennahme des Papstes durch die Franzosen war auch Rom kein sicheres Quartier mehr: Zwei meiner Begleiter starben durch Gift, und es ist ein Segen oder ein Fluch, dass es nie mich traf. Mit dem dritten schiffte ich mich Hals über Kopf nach England ein, um von dort aus weiter nach Amerika zu segeln. Ich hatte die Hoffnung ganz aufgegeben, dass man mir in Europa helfen würde, und wollte mich daher so weit wie möglich vom mörderischen Frankreich entfernen. Wir siedelten uns in einem kleinen Dorf in der Nähe von Boston an und lebten bescheiden und zurückgezogen, bis uns eines Tages auf mannigfaltigen Umwegen das Angebot der Madame Botta erreichte, in die Obhut der Emigrés und der antinapoleonischen Staaten zurückzukehren.
    Gegen den Rat meines letzten mir gebliebenen Begleiters segelten wir also von Boston nach Hamburg, und Sie können sich mein Entsetzen vorstellen, dort im Hafen nicht von Freunden, sondern von bonapartistischen Soldaten in Empfang genommen zu werden. Was in Hamburg aus meinem Freund wurde, weiß ich nicht zu sagen; ich jedenfalls wurde in einem wahren Höllenritt nach Mainz gebracht, immer der Verspottung Capitaine Santings ausgesetzt, den seine eignen Leute hinter vorgehaltener Hand den Bluthund nennen, weil sein Ehrgeiz über Leichen geht und christliches Mitleid ihm fremd zu sein scheint. Was dann in Mainz geschah, muss ich Ihnen weiter nicht berichten.
    Zehn Jahre dauert meine Odyssee nun, und ich hoffe inständig, dass sie, getreu ihrem griechischen Vorbilde, nach diesen zehn Jahren auch beendet ist und dass Karl-Wilhelm Naundorff eine Heimat findet. – Ein Uhrmacher soll ich einstweilen vorgeben zu sein: Ich könnte mir keinen willkommneren Beruf vorstellen, war doch mein seliger Vater ein wahrer Uhrennarr, der unterm Dach in Versailles eine Werkstatt eingerichtet hatte, in der er in jeder freien Minute mit großer Fertigkeit an Uhren und Automaten bastelte. Es gab kein Uhrwerk, und war es noch so komplex, das er nicht meisterte – mit einer einzigen Ausnahme: das große Uhrwerk der Politik, dessen Räder ihn am Ende zermalmten.«

    Mit diesen letzten Worten schloss auch Schiller die Seiten des Büchleins, in dem er seine Notizen niedergeschrieben, während Louis-Charles seine Geschichte erzählt hatte. Der Wirt, der mit großem Anstand der Stube ferngeblieben war, kehrte nun mit einer neuen Flasche Niersteiners zurück und füllte die leeren Gläser wieder auf.
    »Dieser Ausflug in die Vergangenheit hat mich ermattet«, sagte der Prinz nach einer langen Pause, »drum erlauben Sie mir bitte, dass ich mich zurückziehe – nachdem ich mein Glas auf Sie und Ihre beispiellose Tapferkeit erhoben habe.«
    Sie tranken in feierlichem Schweigen. Dann verließ Louis-Charles mit den Wünschen für eine gute Nacht den Schankraum.
    »Hoffen wir nur, dass uns nicht das Schicksal seiner zahlreichen Begleiter und Beschützer ereilt«, sagte Arnim, als der Dauphin außer Hörweite war, und klopfte dreimal auf die Tischplatte. »Eine verdrießliche Ansammlung von vergifteten und hinterrücks erstochnen Zeitgenossen. Als wäre er verflucht.«
    »Seine ganze Familie stand unter einem schlechten Stern«, meinte Goethe. »Als ich anno 70 noch in Straßburg studierte, kam seine Mutter auf ihrem Weg von Wien nach Paris durch die Stadt, und auf einer Insel im Rhein sollte sie sich, wie es Brauch war, von allem trennen, was sie mit ihrer alten Heimat verband, bevor sie den Fuß auf französischen Boden setzte. Zu diesem Zweck hatte man auf der Insel eigens ein Gebäude errichtet, das gar wohl für ein Lusthaus hoher Personen hätte gelten können. Mir und einigen Gefährten gelang es eini ge Tage vor der Ankunft Marie Antoinettes, die Pförtner desselben mit einem Silberstück zu überzeugen, uns Einlass zu gewähren. Den Hauptsaal des Hauses hatte man mit großen, glänzenden Teppichen behängt, die nach Gemälden neuerer Franzosen gewirkt waren. Aber was für abgeschmackte Bilder waren das! Um den Thron der künftigen Königin war die Geschichte von Jason und Medea abgebildet, also das Beispiel der unglücklichsten aller Hochzeiten! Zur Linken des Throns sah man die mit dem grausamsten Tode ringende Braut; zur Rechten entsetzte sich der Vater

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