Das Erlkönig-Manöver
über die ermordeten Kinder zu seinen Füßen, während die Furie auf dem Drachenwagen in die Luft zog. Und diese Bilder, stellen Sie sich vor, sollten nun die vierzehnjährige Dauphine in ihrer neuen Heimat begrüßen! – Ich empfand diese Dekoration als böses Omen, und als Tage später Marie Antoinette endlich in Paris eintraf, gesellte sich ein zweites Vorzeichen hinzu: Bei einem Feuerwerk zu ihren Ehren entstand eine Feuersbrunst, die Dutzende das Leben kostete und Hunderte verletzte. – Das grässliche Schicksal der Familie, in die Karl geboren wurde, schien in der Tat vorherbestimmt.«
Bettine seufzte. »Der arme Tropf. Er hat schon jetzt genug durchlitten für zwei Menschenleben.«
»Die Hatz auf ihn ist ein Grund mehr, Napoleon zu hassen«, sagte Arnim.
Kleist nickte finster. »Napoleon – in diesem Namen liegt’s wie Gift in einer Büchse. In die Dünste mit ihm hin!«
»Ein frommer Wunsch! Wie soll man einem Napoleon beikommen?«, fragte Humboldt. »Der Mann ist unsterblich, scheint’s.«
»Ich wollte es tun.«
»Was?«
»Napoleon töten.« Halb erwarteten die anderen, der Mann hätte einen Scherz gemacht, aber Kleist sagte: »Es ist mein Ernst.«
»Was? der Blitz!« Schiller rückte seinen Stuhl näher an den Tisch heran. »Wollen Sie Karls unglaubliche Geschichte etwa noch übertreffen? So reden Sie doch!«
Kleist sah in die Runde und hob dann an. »Es war Herbst anno drei, als der Kaiser noch Erster Konsul auf Lebenszeit war, aber schon damals bestand sein Heerlager in Boulogne-sur-Mer, wo er seine Soldaten schulen und unzählige Landungsboote zimmern ließ, um über den Kanal zu setzen und in England einzufallen. Ich bin Soldat aus einer Familie von Soldaten – mein Großonkel fiel in Kunersdorf –, und mein Hass auf Bonaparte war damals nicht minder als heut, und als nun das Attentat von Malmaison dekuvriert wurde und scheiterte, dachte ich mir: Warum findet sich nicht einer, der diesem bösen Geist der Welt eine Kugel durch den Kopf jagt? Wenn es den Franken selbst nicht gelingt, muss es wohl ein Preuße in die Hand nehmen. Also fasste ich den nicht eben bescheidenen Plan, in einem rasenden Streich Bonaparte eigenhändig zu vernichten. Wie von der Furie getrieben, zog ich über Genf und Paris nach Boulogne. Ich wollte dort an Frankreichs Nordküste bei der Invasionsarmee anheuern, um mit der Tarnkappe der gallischen Uniform dem Konsul nahe genug zu kommen, ihm eine todbringende Patrone mitsamt meinen herzlichsten Grüßen zu verpassen. Diesen einen Wunsch sollte mir der Himmel erfüllen, und dann mochte er mit mir tun, was er wollte.«
»Sapperlot! Es wäre Ihr Ende gewesen!«
»Unser beider Ende, sicherlich, aber könnte man sich einen heldenhafteren Tod wünschen, als den größten aller Tyrannen niederzustrecken ohne Furcht um das eigne Leben? Gefährten: Zehntausend Sonnen, zu einem Glutball eingeschmelzt, dünkten mir nicht so glanzvoll als ein Sieg, ein Sieg über ihn. Mir hätte ich damit den Kranz der Unsterblichkeit zusammengepflückt – ihn aber allen geharnischten Scharen, die an den Pforten der Hölle stehen und ihre glutroten Spieße schwenken, überliefert.«
»Und was geschah?«
»Der Herrgott hatte andere Pläne für mich – und für Napoleon. Noch bevor ich meinen Plan in die Tat umsetzen konnte, wurde ich von einem bösartigen Nervenfieber niedergeworfen, das all mein Handeln lähmte. Schwerkrank, zwei Schritt vom Grab, verließ ich die Küste, nicht etwa geschmückt mit den Lorbeeren meiner Tat, sondern im Fieberwahn, und schleppte mich nach Mainz, von allen Orten Mainz!, wo man mich in langwieriger Arbeit wieder gesund pflegte. Ich bin heute nicht imstande, ausreichend Aufschluss über diese seltsame Reise zu geben. Ich begreife seit dieser Krankheit selbst nicht mehr, wie gewisse Dinge auf andere erfolgen konnten.«
»Sie hassen Napoleon sehr«, sagte Humboldt, oder vielleicht war es auch eine Frage.
»Mehr als alle Qualen des Lebens«, entgegnete Kleist und atmete tief, als drückte ihm ein Mühlstein auf die Brust. »Ein aus der Hölle entstiegener Vatermördergeist, der herumschleicht im Tempel der Natur und an allen Säulen rüttelt, auf welchen dieser gebaut ist.«
»Sie lassen kein gutes Haar an ihm?«
»Wohl: Er ist ein großer Feldherr, vielleicht der größte seit Friedrich dem Zwoten. Aber ihn dafür zu bewundern, das wäre, als würde ein Ringer den anderen in dem Augenblick bewundern, da er ihn in den Kot wirft und sein Antlitz mit Füßen
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