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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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einen Moment die großen Teutschen liegen, und schneid zur Erinnerung uns sechs in den Karton. Ich will dir dafür auch einen Taler geben.«
    Katharina ließ also den Scherenschnitt sinken, nahm einen neuen großen Karton und rückte ihren Schemel in die Mitte der Stube, um ihre sechs Modelle am besten betrachten zu können. Ohne Scheu arrangierte sie die Sitzenden so, dass keiner den anderen verdeckte, und bat einige aufzustehen – und schon fuhr ihre Schere durch das schwarze Papier wie ein Messer durch die Butter.
    »Siehst du, Käthchen«, sagte Kleist, »unsre Konturen gehen doch gewiss mit mehr Leichtigkeit von der Hand als Dalbergs doppelt-dreifaches Kinn, gelt?«
    »Jawohl, mein hoher Herr.«
    »Dalberg?«, fragte Schiller.
    »Der andre Dalberg.«
    »Der Herr bitte mehr ins Profil«, bat Katharina.
    »Ich?«
    »Nein. Der braune. Oh, Verzeihung.«
    »Schon recht«, sagte Humboldt lächelnd und drehte den Kopf dem Wunsche entsprechend.
    »Ein Scherenschnitt dieser Gruppe«, sinnierte Bettine. »Was kommt wohl als Nächstes? Ein Bilderbogen mit unsern Abenteuern?«
    »Wohl noch eher ein Bühnenstück«, sagte Humboldt. »So fleißig, wie Herr von Sch… – Vergebung –, wie Friedrich Dinge in sein Heft notiert, möchte man glauben, er sammelt Figuren und Abenteuer für sein nächstes Drama.«
    Schiller lächelte und schwieg hierzu, aber Bettine hob die Hand: »Dann will ich als seine nächste Johanna berühmt werden.«
    »Die Tat ist alles, nichts der Ruhm«, erinnerte Goethe.
    »Und was war das für eine Tat!«
    Nun ließen die Gefährten ihre Abenteuer noch einmal Revue passieren, von der heimlichen Überfahrt über den Rhein bis zur Überrumpelung des französischen Geleits, von den Vorbereitungen in Mainz bis zum Handstreich im Palais Impérial und der tollkühnen Flucht über die Brücke. Arnim musste abermals von seiner Begegnung mit dem bairischen Capitaine berichten und Schiller davon, wie er nach der Explosion der Kutsche den Rhein durchschwamm. So gingen die Erzählungen eine Weile für und wider, immer wieder von branntweinseligen Possen durchsetzt, und so manches Glas wurde geleert und blieb nicht lange leer – bis endlich das Mädchen die Arbeit beendet hatte und sich die schwarzen Streifen und Schnipsel von der Schürze fegte.
    »Ich klebe ihn auf einen weißen Karton. Soll ich der Silhouette einen Titel geben?«
    »Doktor Ritter im Kreise seiner Freunde«, schlug Schiller vor.
    »Die glanzvollen Sechs«, meinte Kleist.
    Und Arnim: »Die Helden von Mainz.«
    »Bitte, meine Herren«, sagte Goethe. »Etwas mehr Bescheidenheit. Ort und Datum sollten vollkommen ausreichen; Käthchen, schreib Mainz und das Jahr.«
    Damit ging Katharina zurück auf ihren Platz am Ofen, um das Werk zu vollenden. Sie hatte sich ihren Taler redlich verdient, denn der Scherenschnitt, nun auf weißen Karton geleimt, war in der Tat allerliebst: Er stellte die sechs Gefährten am Tische dar – links vom Betrachter Kleist, ein Glas Wein in der erhobenen Hand, dann hinter dem Tisch Humboldt, Bettine und der stehende Arnim, eine Hand auf ihrer Schulter, rechts im Stuhle Goethe und schließlich hinter ihm, ebenfalls stehend, sein Notizbüchlein in der Hand, Schiller. Darunter hatte das Mädchen mit Tusche in schöner Schrift Mainz 05 geschrieben. Alle fanden sich aufs Trefflichste porträtiert und sprachen der Wirtstochter großes Lob aus.
    Nachdem er den Schnitt betrachtet und an seinen Nachbarn weitergereicht hatte, sagte Schiller: »Sehn wir nicht aus wie aus einem Span? Gegen den Feind ge schlossen, wie zusammengeleimt und -gegossen. Eine gute Mannschaft.«
    Arnim musste aufstoßen. Er klopfte sich mit der Faust auf den Brustkorb und sagte dann: »Wir sollten darüber nachdenken, hier in den Wäldern des Spessarts eine Räuberbande zu gründen, wenn uns die Schriftstellerei nicht mehr ernährt.«
    »Nicht mehr?« lachte Kleist. »Mich hat sie bislang noch nie ernährt, die treulose Dirne!«
    »Also! Dann wollen wir eine Räuberbande sammeln!«
    »Ein drolliger Einfall«, sagte Goethe.
    »Mehr noch: Der Gedanke verdient Vergötterung!«, sagte Kleist und stieß beim Aufspringen sein halbvolles Glas um. »Und Sie, Sie müssen unser Hauptmann sein!«
    »Gut, ich bin euer Hauptmann«, sagte Goethe.
    »Es lebe unser Hauptmann!«, erschall es nun aus mehreren Kehlen. »Wir schwören dir Treu und Gehorsam bis in den Tod!«
    Den Wein im Blut und zur großen Erheiterung der anderen spielte Goethe diese Alfanzereien von Herzen mit

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