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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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Ellenbeuge.
    »Das nächste Mal jagen wir Kaninchen«, sagte er. »Was vermag nicht ein angeschossener Eber! Dieses Schwein hat eh mehr Fleisch, als wir je essen können.«
    Karl trat an das Tier heran. Im gleichmachenden Grau der Morgendämmerung leuchtete die Lache von Blut unwirklich purpurn. Mit einiger Mühe zog Karl den Armbrustbolzen aus dem Schädel des Tieres. »Der Schuss war gut.«
    »Gut? Gut nennst du diesen Schuss?«, fragte Schiller lachend. » Meisterlich war er! Davon wird man noch reden in spätesten Zeiten! Meine Hochachtung, Bettine. Du bist wahrlich eine moderne Atalante.« Mit diesen Worten klopfte er ihr auf den Rücken. »Und wie Atalante sollst du zum Ehrenpreis den Kopf und die Haut dieses Schwarzkittels bekommen, wenn wir mit ihm fertig sind. – Wo ist mein Klopstock?«
    Sie sammelten auf, was sie im Verlauf des Gefechts auf dem Schlachtfeld verloren hatten – Schillers Knotenstock, die Armbrust, den blutigen Hirschfänger und Bettines Mütze von Fuchspelz –, und banden hernach die Vorder- und Hinterläufe des Schweins um einen toten Ast. Dann machten sie sich auf den Rückweg zum Lager. Anfangs pfiff Schiller noch ein Jägerlied, aber bald fehlte ihm dazu der Atem: Selbst auf zwei Schultern verteilt war das Gewicht des ausgebluteten Keilers noch so gewaltig, dass sie auf dem Marsch mehrere Pausen einlegen mussten; die letzte auf einem Kamm oberhalb ihres Lagers mit einem überwältigenden weiten Blick auf Berg und Tal.
    »Sei mir gegrüßt, Berg mit dem rötlich strahlenden Gipfel!«, rief Schiller dort der Morgenröte entgegen. »Und sei mir gegrüßt, Sonne, die ihn so lieblich bescheint!«
    »Ich hab meiner Tage nichts Schöneres gesehen.« Bettine setzte ihre Pelzmütze ab und atmete tief ein. »Was ist das für eine Luft! Wenn man Morgennebel trinkt und der Tau auf den Halmen liegt und der Duft der jungen Kräuter in die Brust dringt: Das ist eine Luft, die mir keine Weisheit ersetzen kann.«
    »Und die man für kein Parfum der Welt möchte austauschen, sei es noch so meisterhaft komponiert«, pflichtete Karl bei.
    Schiller nickte. »In deinen Armen, an deinem Herzen wieder, Natur, ach!, das macht mich selig.«
    »Und hungrig.«
    »Ganz recht. Säumen wir also nicht, und überraschen wir unsre Bande mit diesem kapitalen petit déjeuner .«

    Das Lager der Königsräuber befand sich am Südhang des Kyffhäusers, etwa auf halber Höhe zwischen Tal und Gipfel in einer kleinen Senke. Wie ein Amphitheater war es auf drei Seiten von Hängen umgeben, die so steil und felsig waren, dass man es nur auf einem einzigen Pfad von oberhalb erreichen konnte. Zum Tal hin jedoch fiel der Berg sanft ab, und man musste nur wenige Schritte laufen, um einen imposanten Blick auf das Tal und die Hainleite dahinter zu haben – und natürlich auf die Straße dazwischen. Sollten sich ihre Verfolger auf dieser nähern, wäre es für die Gefährten ein Leichtes, sie rechtzeitig auszumachen. Umgekehrt war das Lager vom Tal aus nicht zu entdecken, und je mehr der Frühling voranschritt, desto dichter würde das schützende Flordach der reichen Natur werden. Bei ihrer Ankunft waren nur Knospen in den nackten Zweigen, jetzt, eine Woche später, blitzte schon hier und da erstes Grün auf.
    In der Mitte des Amphitheaters, wo keine Bäume wuchsen, hatten sie die beiden Zelte aufgestellt. In dem einen schliefen Bettine und Arnim, im anderen Schiller, der Dauphin und Goethe. Kleist und Humboldt bestanden darauf, wiewohl im Bedarfsfall noch Platz in den Zelten gewesen wäre, unter freiem Himmel zu schlafen – oder aber unter einem nahen Felsvorhang, der Schutz vor Regen bot. Dieser Felsvorhang lag linkerhand des Lagers. Er war in etwa vier Schritt hoch und doppelt so weit und war schon fast eine Höhle zu nennen, wäre nicht spätestens nach zehn Schritt im Halbdunkel die hintere Wand erreicht.
    Durch einige Gänge und Spalten hätte sich vielleicht ein Tier noch zwängen können, aber kein Mensch. Goe the hatte die Kaverne wegen ihres weißen Kalksteins scherzhaft Musentempel genannt, eine Bezeichnung, die von den anderen bald übernommen ward. Hier hatten sie die Waffen und den Großteil ihrer Vorräte gelagert, und hier war auch die Feuerstelle errichtet, um Feuer und Feuerholz vor dem Regen zu schützen. Außerdem hätte man Rauch auf der Lichtung bei Windstille meilenweit erkennen können, unter dem Felsdach aber zog er in die Ritzen im Kalkstein und verschwand darin, und nur der Ruß an der weißen Decke blieb

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