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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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zurück. Humboldt, der den Musentempel eingehend untersucht hatte, riet davon ab, sich mehr als nötig dort aufzuhalten, denn der Kalkstein war spröde und unfest, und einige Gesteinsbrocken am Boden und viel Geröll waren die Zeugen vergangener Abgänge.
    Als das Trio der Jäger heimkehrte, saß Arnim dort am Feuer und kochte einen Kaffee und einige Eier, die er bei einem morgendlichen Streifzug aus Vogelnestern geraubt hatte. Die Zeit, bis er die Eier wieder aus dem kochenden Wasser nahm, pflegte er zu messen, indem er eine fixe Anzahl Vaterunser betete. Einige Scheite mehr wurden für den Eber aufgelegt, den Humboldt fachmännisch pelzte, ausweidete und zerlegte. Bis zuletzt war er ein wenig böse über den Leichtsinn der drei Jäger, insbesondere ihres Anführers Schiller. »Ihr wusstet offensichtlich nicht, mit wem ihr euch anlegt«, tadelte er. »Ein ausgewachsener Keiler! Solch ein Gegner ist eindeutig zu groß für euch, und ihr könnt von Glück reden, dass ihr mit ein paar blauen Flecken davongekommen seid.«
    Und Arnim schüttelte nur immer wieder den Kopf. »Bettine von einem wilden Eber aufgespießt! Herrgott, Clemens hätte mich gevierteilt.«
    Die anderen aber waren, spätestens beim ersten Bissen Wildbret, voll des Lobes für die waghalsige Eberhatz, bei der sich Bettine und der junge Prinz so bewährt hatten. Sie saßen auf zwei umgestürzten Baumstämmen, die ihnen als Bänke dienten, und Arnim brachte immer neue Bratenstücke von der Feuerstelle herab. Dazu aßen sie Brot und tranken Kaffee und Wasser, das sie unter einem der Felsen gesammelt hatten, von dem es herablief.
    Endlich begann auch die Sonne sie zu wärmen, und Goethe streckte alle Glieder behaglich von sich. »Hier bin ich gern, und hier mag ich gern bleiben«, sagte er. »Hier sind wir so wenig zu fangen wie eine Maus auf dem Kornboden, und ebenso wohl wie diese fühle ich mich hier. Die Opern, die Schauspiele, die Gesellschaften, die Gastereien – was ist das alles gegen einen einzigen vergnügten Tag unter freiem Himmel auf unserm Berge.«
    Alle pflichteten ihm bei, dass sie an keinem schöneren Ort hätten Zuflucht suchen können. Vor allem Bettine und Arnim genossen das Leben in der Natur, aber auch Schiller sehnte sich nicht einen Moment zurück in sein Federbett in der Esplanade. Sogar die Rasur hatte er aufgeben, wie auch Arnim und Karl, und mit ihren Bärten, Arnims schwarz, Schillers rot und Karls blond, sahen die drei fraglos wie Räuber aus. Schiller gelobte, auch seine Haare wachsen zu lassen wie Adlerfedern und seine Nägel wie Vogelklauen, um sich vollends der Wildnis anzupassen. Kleist sah sie bereits das Leben der edlen Wilden führen; jenes ihrer barbarischen, heldenhaften Ahnen aus den Zeiten Tacitus’.
    Freilich war es denkbar, dass Capitaine Santing die Suche nach ihnen längst aufgegeben hatte und nach Frankreich zurückgekehrt war – aber ebenso war es auch möglich, dass er noch immer die Fürstentümer nach ihnen durchkreuzte, und daher herrschte unter den sieben Einvernehmen, auf unbestimmte Zeit in diesem liebenswürdigen Refugium auf dem Kyffhäuser zu bleiben.
    Nach dem Frühstück zogen sich Schiller und Karl zurück, wie sie es auch an den letzten Vormittagen getan hatten.
    Nur einen kurzen Fußmarsch von der Senke entfernt war am Waldesrand über einer Wiese ein dunkler Felsen, der sich vom Sonnenschein schnell erwärmte und von dem man einen schönen Blick ins Tal bis nach Frankenhausen hatte. Hier suchte Schiller in täglichen Gesprächen, den Dauphin auf seine Regentschaft in Frankreich vorzubereiten. Die Aussicht, den künftigen Herrscher des mächtigsten Reiches der Welt zu formen, hatte überhaupt erst den Ausschlag gegeben, dass sich Schiller Goethes Reise nach Mainz angeschlossen hatte, und nun endlich konnte er die Saat legen für einen fortschrittlichen Staat nach seinen Idealen. Louis-Charles war ihm dabei ein gelehriger Schüler, und mehr noch: Der Jüngling verehrte Schiller, liebte und folgte ihm wie ein Hund seinem Herrn, wie ein Sohn seinem Vater. Karl war der König von Frankreich, aber der König Karls war Schiller.
    Die Gefühle der anderen Karl gegenüber blieben nach der unglücklichen ersten Begegnung immer von einer höflichen Distanz bestimmt, die auch das enge Zusammenleben im Walde nicht zu überbrücken vermochte, denn Karl war keiner von ihnen: kein Bürger, kein Dichter und kein Deutscher. Hinter dem Rücken der beiden spotteten sie milde über den König ohne Krone und

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