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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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seinen Ziehvater Schiller, obgleich sie wussten, dass dessen Einfluss auf Karl nur förderlich sein konnte und dass Karl nach seinen Entbehrungen alle Zuneigung der Welt verdient hatte.
    Während Schiller auf dem Felsen nun schwärmte von den Lehren Kants und Fichtes und der parlamentarischen Monarchie in England oder der Demokratie in den amerikanischen Staaten, fragte Karl unvermittelt: »Wie soll ich je auf den französischen Thron gelangen? Wer will mich dort wissen?«
    »Deine Frage verblüfft mich. Alle Völker Europens wollen dich dort wissen.«
    »Mit Ausnahme der Franzosen.«
    »Mit Ausnahme einiger Franzosen; vielleicht.«
    »Die Mehrheit würde mich ablehnen.«
    »Die Mehrheit ? Was ist die Mehrheit? Mehrheit ist der Unsinn. Verstand ist stets bei wenigen nur. Überschätze nicht den Rückhalt, den Napoleon im Volke hat! Die Mehrheit ist für ihn, weil die Mehrheit immer für den Herrschenden ist. Die Mehrheit war für deinen Vater, als er regierte, sie war es für Robespierre, sie ist es für Napoleon, und sie wird es für dich sein.«
    »Kann ich kein willkommneres Königreich regieren als das französische?«
    Schiller lächelte. »Wohl: Wie viel schneller man einen Staat mit einem König versorgt als Könige mit einem Staat. Aber es muss Frankreich sein, Karl. Nur Frankreich kann Frankreich überwinden. Nur Ludwig XVII. kann Napoleon I. stürzen.«
    »Aber wie soll ich ihn stürzen? Soll ich Krieg gegen mein eignes Volk führen, mit fremden Feindeswaffen in die heimische Erde einfallen?«
    »Es wird wenig Blut fließen, vielleicht nur das eines einzigen Mannes, das eines Schlächters, der es, Gott mö ge mir dies Urteil vergeben, nicht besser verdient hat. Deine Freunde in Weimar und anderswo werden dafür sorgen.« Schiller umfasste den Nacken des Dauphins. »Karl, sie werden dich lieben. Es liegt in deiner Hand, eines großen Landes größter König zu werden. Wenn du aus den Erfolgen und Fehlern deiner Vorgänger lernst, wenn du das Beste aus Monarchie und Republik vereinst, wenn du Bürgerglück mit Fürstengröße versöhnst, wenn du einen aufgeklärten Staat errichtest, eine wahrlich große Nation, gegen die selbst England, das freieste Volk unter dem Himmel, wie eine Despotie wirken muss – wenn der Na me Frankreich Bewunderung und Neid hervorruft, nicht Furcht und Feindseligkeit. Werde von Millionen Königen ein König, denn wenn du deine Untertanen wie Könige behandelst, wie sollten sie anders als dich lieben? Dann erkennt Frankreich nur einen einzigen König.«
    »Ich fürchte nur, deine wunderbaren Ideen sind unsrer Zeit voraus.«
    »Das letzte Jahrhundert war meinem Ideal nicht reif. Aber das neue wird es sein.«
    »Du bist ein Optimist.«
    »In der Tat«, sagte Schiller, »und mein Optimismus macht nicht einmal an Frankreichs Grenzen halt! Niemals – niemals besaß ein Sterblicher so viel, um es so göttlich zu gebrauchen wie du. Alle Könige Europens huldigen dem fränkischen Namen. Sei du Europens Königen ein Vorbild, und nach deinem Vorbild wird die Erde neu erschaffen!«
    »Friedrich, dein Enthusiasmus macht mir Angst. Ich bin ein Jüngling von zwanzig Jahren, ungeübt im Regieren, geübt nur in der Flucht – und soll die Erde neu erschaffen?«
    »Bitte verzeih. Ich bin, wie oft, drei Schritte voraus.« Karl griff nach einigen Steinchen, die auf dem Felsen lagen, und warf sie nach einem Rabenvogel, der sie betrachtet hatte.
    »Bin ich nicht zu klein für diese Aufgabe?«, fragte Karl nach einer Weile, ohne den Blick vom Raben zu nehmen.
    »O Karl! Karl! Dass du diese Frage stellst, beweist nur einmal mehr, dass du es nicht bist«, erwiderte Schiller sanft. »Willst du es denn? Willst du dies neue Königreich errichten und regieren?«
    »Von ganzem Herzen.«
    »Dann fürchte nichts. Den Menschen macht sein Wille groß und klein.«
    Erneut schwiegen die beiden. Schließlich sagte Karl: »Du bist sehr gut zu mir. Ich hoffe, ich kann mich eines Tages erkenntlich zeigen.«
    »Das Königreich ist dein Beruf. Für dich zu kämpfen ist jetzt der meinige.«
    »Aber warum nimmst du diese ganzen Mühen und Gefahren auf dich? Allein, um Frankreich in einem bessern Zeitalter zu wissen? Du bist nicht einmal Franzose. – Oder tust du es, um Deutschland vor Napoleon zu schützen?«
    »Beides und mehr«, sagte Schiller. »Es gibt noch einen Grund, den ich bislang nicht einmal Goethe anver traut habe. Ja, soll ich’s dir gestehen, Karl? – Gut, du sollst es wissen. Anno 93 wollte ich nach Paris,

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