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Das ermordete Haus

Das ermordete Haus

Titel: Das ermordete Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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Geschworenen ein paar Täter vorsetzt, gegen die alles spricht, dann kommt es fast nie vor, daß nicht alle Daumen gleich nach unten zeigen … Weil … Verstehst du, bei uns haben die Türen schon lang keine Schlüssel mehr, und wenn zufällig doch noch welche da sind, weiß jeder, daß sie unter dem großen Stein am Ende der Treppe liegen. Es wird einem also allzu leicht gemacht, irgendwo reinzugehen und jemanden umzubringen …« »Es wird einem allzu leicht gemacht …« wiederholte Séraphin mechanisch. Er konnte seinen Blick nicht von der Stelle zwischen der Brottruhe und der Wiege wenden, wo seine Mutter vor dreiundzwanzig Jahren gelegen hatte, mit hochgeschobenen Röcken und aufgeschlitzter Kehle.
    »Sie wurden mit der Guillotine hingerichtet«, sagte Burle, »an einem zwölften März, um sechs Uhr früh, in Digne vor dem Gefängnistor. Nicht um alles Gold der Welt wollte man das verpassen! Ich weiß nicht, wie sich das rumgesprochen hat, aber wir waren um die zweihundert … Einige aus Lurs … einige aus Peyruis oder Les Mées … Da waren sogar welche aus Forcalquier und Château-Arnoux. Wir dachten, wir würden auf unsere Kosten kommen, aber das lief nicht, man hat nichts gesehen. Es schneite dermaßen, daß man noch nicht mal das Beil hat fallen hören. Das einzige, was man gehört hat, war, daß sie irgendwas geschrien haben – wahrscheinlich, daß sie unschuldig waren –, aber das taten sie auf herzegowinisch … Als ob das jemanden gekümmert hätte. Dazu kam noch, daß der Polizist, der uns zusammen mit zwanzig Kollegen zurückhielt, ständig wiederholte, daß sie alle schreien, sie seien unschuldig, und daß sie, wenn sie es nur lang genug geschrien hätten, am Ende selbst daran glauben würden.« Burle stand auf. »Das war’s«, sagte er und schlug sich auf die Schenkel.
    Das Gewitter war jetzt aus größerer Entfernung zu hören.
    Burle versuchte, seine Hose, die er für trocken genug hielt, über seine Schuhe zu ziehen, die er noch immer an den Füßen trug.
    »Das war’s«, wiederholte er, »was sich hier drei Wochen nach deiner Geburt abgespielt hat. Verstehst du jetzt, warum hier alles noch so ist wie damals? Warum in dreiundzwanzig Jahren niemand auf die Idee gekommen ist, auch nur eine Prise Salz aus dem Salzbehälter da zu klauen? Warum dieses Haus niemand kaufen wollte? Versucht hat man es schon. Fünfmal klebte das gelbe Plakat, auf dem die Versteigerung angekündigt wurde, an der großen Stalltür! Fünfmal ist keiner gekommen! Verstehst du? Dieses Haus steht unter dem Zeichen des Verbrechens und, was noch schlimmer ist, unter dem Zeichen des Schafotts! Und wenn sie La Burlière verschenkt hätten, dieses Haus hätte trotzdem niemand genommen!«
    Er hielt Séraphin die inzwischen trockene Hose hin, die dieser mechanisch anzog. Aus der Tasche seiner Drillichjacke zog Burle seinen Tabaksbeutel und öffnete ihn. Er nahm sich ein neues Stück Kautabak vor. Bedächtig wiegte er den Kopf und lauschte dem letzten Grollen des abziehenden Gewitters.
    »Aber, wenn du mich fragst«, sagte er schließlich, »für mich kann sich das nicht so abgespielt haben … Du mußt verstehen, Monge, dein Vater, was der früher so gemacht hatte, das war alles ziemlich unklar. Zunächst mal war er ein einfacher Fuhrhalter, und glaub ja nicht, daß La Burlière mehr hergegeben hätte als Weideland für eine Herde Vieh und einen Acker für eine Handvoll Getreide. Aber andererseits … Die Girarde hatte immer wieder neue Blusen an. Deine Brüder hatten immer neue Schuhe und zu jedem neuen Schuljahr neue Schulranzen. Und er hatte drei wunderschöne Pferde, der Monge, und wenn sie zum Jahrmarkt nach Manosque fuhren, kamen sie immer mit einem Marktwagen voll mit Einkäufen zurück … Das ging doch nicht mit rechten Dingen zu!«
    Er kaute eine Weile an seinem Tabak herum und blickte dabei starr in die Flammen, als spiegele sich dort die Erinnerung.
    »Und noch was«, sprach er weiter, »was soll ich dir sagen? Als ich hier ankam, einer von fünfzig, aber als erster, so schnell bin ich gerannt, hab ich mit meiner Schaufel, die ich noch in der Hand hatte, erst mal den Eingang versperrt … Also, was mich gewundert hat, so übel mir auch war: Das sah alles nach kaltem Zorn aus, nach lang unterdrücktem Zorn. Und, von den Leichen mal abgesehen – da war überhaupt kein Durcheinander, bis auf die Decke, die auf deine Wiege gefallen war, bis auf das Salzfaß, das dein Vater im Sturz angestoßen hatte, so daß es schief

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