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Das ermordete Haus

Das ermordete Haus

Titel: Das ermordete Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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hing … Genau wie der calendrier des Postes. Man hatte die Schranktüren hinter deinen toten Brüdern sorgfältig geschlossen. Kurz und gut: Alles war an seinem Platz, man hatte nichts durchwühlt. Und dann noch was: die Wunden, die Wundränder! Das Blut hatte schon lange aufgehört zu fließen, und man konnte die Wundränder gut erkennen. Die waren weiß, sauber geschnitten … Da war nichts ausgefasert, alles wie mit einem Rasiermesser geschnitten, aber noch gerader … Ich hab gleich zu mir gesagt: Für solche Wunden, Jean, da kommt nur eine einzige Waffe in Frage: ein tranchet, ein Messer von hier, und zwar gut geschliffen! So ein Messer hat man bei den drei Herzegowinern aber nicht gefunden. Ihre Anwälte hatten recht: tranchets, solche Messer gibt’s nur hier. Und das stimmt auch: Man schneidet Trauben damit, man öffnet Nüsse damit, man spickt den Kaninchenbraten damit, und zur Not kann man auch ein Schwein damit abstechen. So etwas gibt’s anscheinend in der Herzegowina nicht. Die Anwälte haben die Messer vorgelegt, die es dort unten gibt … Das sind keine tranchets … Aber hier bei uns, da findet man keinen zwischen fünfzehn und achtzig, der nicht ein solches Messer hätte.« Er hatte sich nach vorne gebeugt und schob mit einer Schaufel, die er von der Wand genommen hatte, ganz in Gedanken die Asche in den Kamin zurück. Dabei wiegte er unablässig den Kopf wie ein störrisches Maultier. »Also, ich hab dann irgendwann nichts mehr gesagt, sonst hätten mich alle schief angeguckt … Aber gesagt hab ich’s, klar und deutlich: So kann es nicht gewesen sein.«
    »Und weißt du vielleicht, wie es passiert sein könnte, du Klugscheißer?« Sie erschraken nicht, als sie plötzlich diese Stimme hörten, denn sie glich dem fernen Donnergrollen, aber sie drehten sich dann doch langsam um, um zu sehen, woher sie kam.
    Vor der Tür, die er hinter sich wieder geschlossen hatte, stand im Halbdunkel, vom flackernden Feuer nur schwach beleuchtet, ein Mann. Ein Mann mit blicklosen schwarzen Augen, ganz in Schwarz, ein alter Mann, der aber nicht so aussah. Nur sein großer weißer Schnurrbart ließ auf sein Alter schließen. Er hatte den Kopf, auf dem ein verbeulter Hut saß, leicht zur Seite geneigt. Seine Kleidung stammte aus einer anderen Epoche; er selbst schien in jedes Jahrhundert zu passen, er war nicht einzuordnen. Quer über seine Weste hing eine Uhrkette, nicht golden, nicht silbern und auch nicht aus Eisen, sondern matt und eher unauffällig. An ihrem Ende hing glänzend und möglicherweise aus Gold ein alter, abgegriffener Anhänger in Form eines Totenkopfs.
    Dieser Mann mußte mitten durch den Hagelsturm gelaufen sein, der fast eine Stunde getobt hatte, um zu ihnen zu gelangen. Sein ausgebleichter, großer roter Schirm bestand nur noch aus Streben mit herabhängenden Stoffetzen. Wie die beiden Straßenarbeiter hatte er Hagelkörner auf Stirn und Nase abbekommen, und blutige Ohren hatte er auch. Mit seinem undurchschaubaren Blick musterte er Séraphin, der ihn um einen Kopf überragte.
    »Ich war mir sicher«, sagte er zu Burle, »daß du eines Tages diese verdammte Tür öffnen würdest.«
    Burle breitete die Arme aus. »Wir mußten uns doch unterstellen …«
    »Halt den Mund! Was hast du ihm erzählt?«
    »Alles …« sagte Burle.
    »Alles?«
    »Nun, alles, was es zu sagen gibt.« »Du weißt ja genau, was es zu sagen gibt und was nicht!« Er zeigte mit einer dramatischen Geste auf Séraphin. »Sein Leben hast du ihm vergiftet, das hast du getan!«
    Unvermittelt wandte er sich um, öffnete die Tür und ging mit großen Schritten nach draußen und versetzte den Hagelkörnern, die wie Sand unter seinen Füßen knirschten, heftige Fußtritte. Mit seinem zerfetzten Schirm durchschnitt er wütend die Luft. Er war ein einziges unbestimmtes Grollen, das sich zornbebend entfernte wie das Gewitter.
    Die beiden eingeschüchterten Straßenarbeiter folgten ihm auf den Fersen.
    »Wer ist das?« fragte Séraphin mit rauher Stimme.
    »Das ist der Zorme«, sagte Burle, »es hat ihm gar nicht gepaßt, daß ich dir alles erzählt habe.« Er umschloß mit den Fingern der rechten Hand seinen linken Daumen. »Er verfügt über Kräfte …« murmelte er ängstlich.
    »Psst!« rief Séraphin. »Hören Sie doch! Was sagt er da, was hat er gesagt?«
    Schon ziemlich weit entfernt, dort hinten bei den beiden großen Zypressen, deren Äste sich durch die Wucht des Hagels nach außen gebogen hatten, war Zorme stehengeblieben und

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