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Das ermordete Haus

Das ermordete Haus

Titel: Das ermordete Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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rote Steppdecke sinken, auf der die Rundungen ihres Körpers erst richtig zur Geltung kamen. Sie flüsterte, und von dort, wo er stand, konnte er sie wegen der Windstöße im offenen Kamin kaum verstehen.
    »Sehen Sie nur«, sagte sie, »sehen Sie, zu welchem Geständnis Ihre Schüchternheit mich zwingt … Ich mache es gern allein … O ja, das habe ich fast genauso gern, wie wenn es jemand mit mir tut … Schauen Sie her! Sind Sie nun zufrieden? Sie wollten mehr über die Geheimnisse der Frauen wissen? … Nun gut, schauen Sie zu … Schau mir genau zu … Wenden Sie nicht die Augen ab … Sieh nur nicht weg …«
    Ihre schlanke Pianistinnenhand strich mit den Fingern über das Dreieck, das, schwarz wie ein Trauervlies mit seinen dichten, gleichmäßig gestrickten Löckchen, den Schild ihres Bauches hervorhob.
    Auf dem Teppich stand Séraphin, den Blick stumm auf diese Hand geheftet, die sich kaum bewegte, machte schließlich einen Schritt nach vorn, dann zwei, dann drei. In seinem verwaschenen Hemd, riesig groß und schwer wie ein Baumstamm, wirkte er erdrückend. Sie beobachtete ihn durch die Wimpern hindurch, überwältigt von einem dem Bewußtsein entzogenen Verlangen, das ungreifbare Fasern in ihr in höchste Spannung versetzte. Plötzlich, wie von Ungeduld befallen, legte sich ihre freie Hand auf das aufgerichtete Glied. Und die Kluft zwischen diesem handgreiflichen Beweis für heftige Begierde und diesem unbeteiligten Ausdruck von Sanftmut, der dort oben, weit über ihr, die undeutlichen Gesichtszüge des Mannes erhellte, brachte sie aus der Fassung, traf sie in ihrer Erwartung wie eine kalte Klinge. Ein Unwohlsein befiel sie, als streife sie ein noch dunkleres Geheimnis als das, das sie schon bei ihm vermutet hatte. Doch der Mann beugte plötzlich die Knie, vielleicht hatte er sogar vor, sich über diesen Körper zu legen, der heftig danach verlangte.
    Da  durchschnitten plötzlich gellend zwei  kurz aufeinanderfolgende Schüsse das Geräusch des Windes, durchdrangen die Mauern, durchschnitten den Kokon aus köstlicher Verwirrung der Sinne, in den die beiden in diesen Augenblicken vor der Liebe eingesponnen waren.
    »Patrice?« schrie Charmaine.
    Sie setzte sich auf. Sie sprang hoch, bedeckte mit den Händen ihre nackten Brüste und keuchte neben Séraphin, der zwei Schritte zurückwich.
    »Pa-tri-ce!« schrie sie wieder.
    Die Detonation hallte in ihrem verwirrten Kopf wider, wie die drei Silben dieses Namens, und sie schrie ihn, wie sie ihn innerlich hörte. Seit langem war sie bei Patrice auf das Schlimmste gefaßt. Zu oft betrachtete er sich in allen verfügbaren Spiegeln. Sie war sicher, daß er eines Tages diesen Harlekinskopf, diese Schöpfung eines kubistischen Malers, nicht mehr würde ertragen können und daß er sich schließlich eine Kugel hineinjagen würde. »Patrice!« hauchte sie.
    Im Handumdrehen wieder angezogen, stand sie neben Séraphin, bevor der sich überhaupt gerührt hatte. Das Verlangen war verflogen wie der trügerische Rauch eines fernen Feuers.
    »Es kommt von draußen«, flüsterte Séraphin.
    In diesem Augenblick krachten von neuem zwei Schüsse. Charmaine sprang auf den Flur, stürzte auf eine versteckte Tür zu und rannte die schmale Treppe hinunter. Drüben beim Gutshof bewegten sich Lichter, kreuzten sich und blitzten hier und dort im Mondlicht oder in der Dunkelheit auf. Charmaine rannte auf sie zu. Sie rannte wie ein aufgeschrecktes Tier. Sie hatte Séraphin vergessen. Die Angst hatte ganz von ihr Besitz ergriffen. Patrice … Patrice und sie – abgesondert durch die Taubheit ihrer Mutter – hatten sich seit ihrer Kindheit wie zärtliche Komplizen geliebt. Patrice … Sein schönes Gesicht … Dieser romantische Jünglingskopf, der mit aufgestütztem Kinn in die Ferne nach den Wolken auf den Hügeln blickte, auf die Dörfer, die im wechselnden Licht der Sonne immer wieder anders aussahen, die von weitem zur Besichtigung aufriefen, auf die bleiche Schneise, die die Durance durch das Tal schlug. Patrice, der auf all das mit einer Bewegung seines schönen Kopfes wies und zu ihr sagte: »Ich liebe nur das hier. Der Rest der Welt interessiert mich nicht im geringsten. Ich liebe nur das und dich, wenn du dich über dein Klavier beugst.« Patrice, der Friedvolle, dem der Krieg die Seele abgetötet hatte.
    Sie rannte und rannte auf die Lichter zu, die vom Gutshof her näher kamen. Die Hunde jaulten sich hinter den Gittern des Paddocks halb zu Tode.
    Séraphin hätte

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