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Das ermordete Haus

Das ermordete Haus

Titel: Das ermordete Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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verschwinden müssen, sich nicht zeigen dürfen, aber Patrices Name, den sie immer wieder keuchend rief, trieb ihn voran, hinter Charmaine her.
    Die Lichter hatten sich um das Wasserbecken versammelt. Sofort sahen sie Patrices Gestalt sich aufrecht am Rand des Beckens abzeichnen. In der rechten Hand hielt er eine Waffe.
    »Mein Gott«, keuchte Charmaine. Völlig erschöpft fiel sie Séraphin in die Arme. Sie zitterte am ganzen Körper wie ein sterbender Vogel. Sie wiederholte: »Dank sei Gott, Dank sei Gott …« – schnell und mechanisch wie eine Litanei.
    Wie durch ein Wunder hatte sich der Wind gelegt. Er verausgabte seine letzten Kräfte so hoch oben in den Zweigen, daß nur noch ein Seufzer des Bedauerns zu hören war.
    10
    DER Sturm hatte gerade seinen Höhepunkt erreicht, als Gaspard Dupin an jenem Abend um neun Uhr aus dem Paddock kam. Zwei Hunde hatte er am Gürtel festgehakt, sein Gewehr war nach unten gerichtet.
    Er fluchte über den Wind, zog seinen Hut tiefer ins Gesicht und verschwand mit gesenktem Kopf im Park. Er hatte ein flaues Gefühl im Magen und war doch gleichzeitig besinnungslos vor Wut.
    »Elendes Leben!« sagte er zu sich. »Das ist schließlich mein Park. Und wer immer hier auftaucht, dem hetze ich die Hunde auf den Hals.«
    Seine vulgäre Großspurigkeit konnte ihm dennoch nicht das Gefühl vermitteln, im Recht zu sein. Eigentlich war sie nur ein armseliges Mittel, um die schrecklichen Bilder zu vertreiben, die ihn seit einiger Zeit heimsuchten. Bilder, die er für immer in sich vergraben glaubte und die das plötzliche Auftauchen dieses Straßenarbeiters wieder zum Leben erweckt, von ihrer Schmutzschicht befreit hatte, so daß sie nun in frischen Farben und üppig ausgemalten grauenvollen Einzelheiten leuchteten.
    Er wußte nur zu gut, daß er seit der weit zurückliegenden Zeit, auf die diese bösen Erinnerungen zurückgingen, ständig in Angst lebte, auch wenn er die Robe des Laienrichters am Handelsgericht trug, auch inmitten seiner Reichtümer, auch während der leidenschaftlichen Nächte mit Conchita. Ständig in Angst … Wie ein Hase.
    Wenn wenigstens dieser Wind nicht gewesen wäre, der den Hunden ihren Spürsinn nahm und ihn selbst taub machte. Die Armee von Bäumen und Sträuchern wogte auf beiden Seiten der Allee und deutete Bewegungen an, die der Angst neue Nahrung boten.
    Endlich gelangte er an das Wasserbecken und atmete auf, denn nun befand er sich im hellen Mondschein, und das Gelände war übersichtlich genug, um vor einem Überfall zu schützen.
    »Ich werde den Abfluß höher legen lassen müssen«, sagte er sich. Es war ihm gerade wieder aufgefallen – nicht zum ersten Mal –, daß bei der Instandsetzung der Marmoreinfassung, die im Laufe der Zeit gelitten hatte, die Abflußöffnungen zu tief angebracht worden waren, so daß der Wasserspiegel vierzig Zentimeter unter dem Beckenrand lag.
    Diese bautechnische Überlegung gab ihm wieder Auftrieb. Er sah sich in Gedanken vor dem Bauunternehmer mit der flachen Mütze stehen und mit dem Finger auf all das zeigen, was zu tun war. Er warf einen zufriedenen Blick auf sein Meisterwerk. Der Anblick dieses Wasserbeckens hatte eine belebende Wirkung auf ihn.
    Er zog an der Hundeleine. Voll von Stolz und Zufriedenheit hätte er fast seine Angst vergessen. Eine Bewegung im Gehölz, die er im einförmigen Wogen der Zweige im Sturm zu erkennen glaubte, ließ sie mit einem Schlag Wiederaufleben. Mit angelegtem Gewehr drehte er sich langsam herum und brachte dabei die Hunde zwischen sich und die verdächtige Stelle. Nein, es war wohl doch nur der Wind, der sich da hinten im zerzausten Dickicht eine Unregelmäßigkeit erlaubt hatte.
    Gaspard wagte sich auf die breite Einfassung des Beckens; die Hunde blieben ihm dicht auf den Fersen. Ja, der Abfluß mußte unbedingt höher gelegt werden, wenn die Wasseroberfläche bei jedem Wetter spiegeln sollte.
    Der Wind wühlte die Wasseroberfläche auf und ließ die Wellen gegen den Beckenrand schlagen. Er drückte den stetigen Strahl, der aus den Rohren ins Becken strömte, gegen die Brunnenfiguren. Die Laren weinten aus all ihren steinernen Runzeln, und die Tränen, die über ihr erstarrtes Grinsen herabflossen, glänzten unheilverkündend im Mondlicht.
    Gaspard ging weiter mit dem Gleichmut eines Mannes, den nichts mehr erschüttern kann. Angesichts der großen Entfernung, die ihn von den Bäumen trennte, war die Angst in seinem Leib zu einer kleinen Kugel geschrumpft; sie war gerade noch groß

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