Das ermordete Haus
mit ihm zusammen bei Sauvecanne am selben Tisch gesessen, bei einem Essen des Touring-Clubs. Auch ein Arzt wundert sich immer ein wenig über den Tod eines Sterblichen.
»Wie ist das passiert?« fragte er aufgeregt. »Und wann?« Man klärte ihn darüber auf. Er wirkte überrascht, äußerte sich jedoch nicht dazu. »Was hat er gegessen?« » Pieds et paquets « , schniefte die Dragonerin.
»Wie bitte? Pieds et paquets? « wiederholte der Doktor und hob die Augen zum Himmel. »Und danach ins eiskalte Wasser gefallen … Was gibt es da noch zu erklären, ich bitte Sie!«
Mit aufgestütztem Kinn ließ er den Blick reihum über die Lebenden schweifen, die brav um das Bett versammelt waren. Familien, die einen plötzlich verstorbenen Angehörigen zu betrauern hatten, gehörten zu seinem Alltag. Dieser Gaspard, der so viel Geld für sie verdient hatte, war im Begriff gewesen, ihnen wegen einer allseits bekannten Liebschaft einen großen Teil davon wieder zu entziehen … Roman – so hieß der Arzt, der aus der Gegend stammte – wußte nur zu gut, wie empfindlich die Erben hierzulande in Gelddingen waren. »Im Wasserbecken ertrunken während eines Abendspaziergangs«, das war leicht gesagt …
Er ging mit zweifelndem Gesichtsausdruck um den Toten herum. Er untersuchte ihn gründlich, betastete ihn, inspizierte seine Kleidung. Er hoffte, Spuren eines Schlages, eine ver- dächtige Quetschung, irgendwelche unerklärlichen Schrammen zu entdecken, die es gerechtfertigt hätten, die Ausstellung des Totenscheins zu verweigern, um eine gründlichere Untersuchung durchzuführen. Aber da war nichts … Eine völlig unverdächtige Leiche. Der Mann hatte im kalten Wasser einen Herzstillstand erlitten, das war alles … Er fand nichts, und nichts zu finden erstaunte ihn aufs höchste, denn allem Anschein zum Trotz hatte er da so seine eigenen Gedanken. Nun kann man aber bloß aufgrund solcher »eigenen Gedanken« nicht gut einen Totenschein verweigern. Lag die Leiche allerdings erst einmal im Sarg und war begraben, dann würde man gegebenenfalls Himmel und Hölle in Bewegung setzen müssen, um sie wieder ans Tageslicht zu befördern, und dabei fiele dem Arzt dann eine verflixt große Verantwortung zu … Er seufzte.
»He, Sie da! Sie sehen kräftig aus, und vor allem gehören Sie allem Anschein nach nicht zur Familie – das stimmt doch, oder? Er gehört nicht zur Familie?« Er zeigte auf Séraphin, der sich erhob. »Helfen Sie mir, das Opfer zu entkleiden«, befahl Doktor Roman.
Aber die Leiche wollte sich nicht entkleiden lassen. Sie war von Kopf bis Fuß steif wie ein Baumstamm. Man hätte die Kleider mit einer Schere oder Rasierklinge zerschneiden müssen, worauf der Doktor verzichtete.
Er wollte gerade eine wichtige Frage stellen, als ein Gejaule von draußen, das an die tiefen Töne eines Fagotts erinnerte, ihn zum Schweigen brachte. Es kam von den beiden noch lebenden Dobermännern, die damit die Ankunft der Gendarmen ankündigten.
»Nun also?« fragte der Unteroffizier. »Was ist hier vorgefallen?« Er war noch etwas benommen. Niemals zuvor hatte er Raubtiere so verzweifelte Sprünge machen sehen, um aus ihrer Umfriedung herauszukommen und ihn zu verschlingen. Er wischte sich die Stirn ab. »Ganz schön gefährliche Tiere haben Sie da«, sagte er.
»Uns kennen die nicht einmal«, erwiderte Patrice. »Sie gehörten meinem Vater. Ich werde sie erschießen lassen.«
Als der Gendarmerieoffizier erfuhr, daß der Tote ins Becken gefallen war, daß man ihn dort herausgezogen und ihn schließlich in den Salon gebracht hatte, zeichneten sich Zweifel auf seinem Gesicht ab. Diesen mißtrauischen Zug um den Mund sollte er den ganzen Abend über beibehalten.
»Er hätte an Ort und Stelle bleiben müssen.«
»Wir wußten doch nicht, ob er tot war«, sagte Charmaine.
»Wir hofften natürlich, daß er noch lebte.«
Der Tag brach an. Während jeder Zeuge seine Personalien angab, hatte Doktor Roman seine Entscheidung getroffen. Die ungeklärten Umstände zu ergründen, unter denen der Tote ertrunken war, würde ihm und den anderen bloß eine Menge Unannehmlichkeiten bereiten, und schließlich war es ja auch durchaus nicht unwahrscheinlich, daß der, um den es hier ging, wirklich nur gestolpert war und die pieds et paquets danach den Rest besorgt hatten.
»Wie steht es nun?« fragte der Unteroffizier. »Sie, Herr Doktor, haben den Leichnam ja untersucht … Was ist die Todesursache?«
Die Antwort des Arztes glich einem
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