Das ermordete Haus
sich flach auf den Bauch. Sie tauchten die Hände ins Wasser. Sie packten die Kleider Gaspards, wo immer sie sie zu fassen kriegten. Mit ihrer krankhaften Neugier trugen sie zur allgemeinen Aufregung bei.
»Schließen Sie ihm die Augen«, schrie der Pächter. »Machen Sie ihm sofort die Augen zu. Er ist jetzt schon kalt, und bald wird es nicht mehr gehen.«
Zu fünft klammerten sie sich an den Kleidern des Toten fest, aber es gelang ihnen nicht, auch nicht mit vereinten Kräften, ihn aus dem Becken herauszuziehen.
Patrice sah auf. Er sah Charmaine, die ihnen entgegenlief.
»Aus dem Weg«, rief jemand hinter ihr. »Lassen Sie mich das machen.«
Es war Séraphin. Er schob den Pächter und dessen Tochter beiseite und legte sich neben Patrice hin, tauchte den Arm ins Wasser und drehte Gaspards Leiche auf den Rücken. Er faßte ihn mit beiden Händen am Kragen seiner Jacke und seines Hemdes. Langsam, langsam begann er zu ziehen. Dabei richtete er sich nach und nach wieder auf. Die anderen bemühten sich, ihm zu helfen. Und endlich, als er schon fast aufrecht stand, hielt er den ganzen Leichnam an sich gedrückt und legte ihn vorsichtig auf die Marmorplatten.
Alle zitterten vor Kälte, obwohl der Wind wundersamerweise aufgehört hatte. Alle betrachteten sie diesen Toten, der – auf die eine oder andere Weise – ihr Dasein beschwert hatte und dessen Leben nun durch einen simplen Unfall ein Ende gefunden hatte. »Wir müssen ihn von hier wegschaffen«, sagte der Pächter mit Sinn für das Naheliegende.
»Séraphin«, sagte Patrice, »du nimmst ihn bei den Füßen und wir verteilen uns auf die Arme …«
Séraphin bückte sich.
»Der nicht!« kreischte die Dragonerin und lud ihr Gewehr nach. »Es ist deine Schuld!« sagte sie zu Patrice. »Wenn du den da nicht hierhergebracht hättest, wäre nichts passiert! Wußtest du nicht, daß er Unglück bringt? Schau ihn doch an!«
Theatralisch zeigte sie auf Séraphin mit ihrer Hand, die einem Wäscheklopfer glich. Sie hielt ihm ihre Waffe unter die Nase. Sie bellte ihm ins Gesicht: »Seht ihn euch doch an! Ihr, ihr seht ihn ja nicht. Ihr könnt ihn gar nicht sehen. Ihr stammt nicht aus dem Champsaur wie ich. Ich weiß Bescheid, ich sehe ihn so, wie er ist. Soll er sich ruhig hinter seinem Engelsgesicht verstecken, aber ich weiß, wer er ist. Ich kenne ihn!«
»Schweigen Sie, Sie arme Irre!« knurrte Charmaine. »Seien Sie doch still.«
Patrice nahm der Dragonerin sanft das Gewehr aus der Hand. »Sie steht unter Schock«, sagte er. »Man darf es ihr nicht übelnehmen …«
Sie bückten sich alle, um diese schwere, tropfnasse Masse hochzuheben, die schon steif wie ein Baumstamm geworden war und sich nicht ohne weiteres bewegen ließ.
Der Pächter und Patrice ergriffen den linken Arm, sein Sohn und seine stämmige Tochter den rechten. Séraphin schob Charmaine, die sich ebenfalls herabbeugte, sanft zurück. Er kniete vor der Leiche und hielt ein Bein in jeder Hand, wie er es so oft an der Front, manchmal sogar im Hagel der Granaten getan hatte. Die Dragonerin hielt den ganzen Weg lang ihre Hände liebevoll wie ein Kissen unter den Kopf des Toten.
Der Leichenzug bewegte sich mit schweren Schritten durch die große Allee von Pontradieu. Die Taube, die wohl in der Tiefe des Schweigens um sie her von einer inneren Stimme gerufen worden war, stand auf der erleuchteten Freitreppe. Charmaine lief ihr entgegen, als sie sich anschickte, die Treppe hinunterzusteigen.
Zum letzten Mal kehrte Gaspard Dupin nach Hause zurück. Sein Leichnam hinterließ eine lange Spur kalten Wassers, das er aus den Tiefen jenes schönen Beckens geschöpft hatte, das im Leben sein ganzer Stolz gewesen war. Die ganze Nacht hindurch hielt Séraphin mit Patrice Totenwache beim Leichnam seines erlegten Feindes. Im Salon, wo die unter ihren Schonbezügen gesichtslos wirkenden Möbel zur Seite geräumt worden waren, hatte man ein Behelfsbett aufgeschlagen, auf dem nun Gaspard lag; seine steifen Füße steckten in den Stiefeln eines Gentleman-Farmers. Es war unmöglich gewesen, sie ihm auszuziehen, denn durch das eiskalte Wasser hatte die Totenstarre vorzeitig eingesetzt.
Der Pächter trat verlegen von einem Fuß auf den anderen und erbat für sich und seine Familie die Erlaubnis, sich zurückziehen zu dürfen. Morgen früh ging es an die Weinlese. Patrice nickte zustimmend.
Charmaine kaute vor Ungeduld an den Häutchen ihrer Fingernägel. Manchmal wagte sie einen heimlichen Blick in Séraphins Richtung.
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