Das ermordete Haus
Köter sprang ihn an, und der zielte richtig; das weit geöffnete Maul schnappte nach dem Hals des Mannes. Séraphin hielt den linken Arm vor den Hals und streckte seine geschlossene Rechte aus, dem Schlund des Hundes entgegen, der sie verschlang. Ein gnadenloser Kampf hatte begonnen: Den Zähnen des Hundes stand die geschlossene Faust entgegen. Sie hinderte die Kiefer daran, sich über seinem Handgelenk zu schließen, und erschwerte gleichzeitig die Atmung des Tieres. Mit der freien Hand packte er den oberen Teil der Schnauze und steckte seine Finger zwischen die geöffneten Kiefer. Mit wilden Zuckungen versuchte die Bestie, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen, aber Séraphin stand fest auf den Beinen. Mit den Vorderpfoten zerkratzte ihm das Tier die Oberschenkel. Für eine Sekunde lockerte es die Klammer um Séraphins Faust, um wieder Schwung zu holen und zuzubeißen. Séraphin hatte sich weit nach vorn gebeugt, der Atem des Hundes stieg ihm in die Nase. Den Ausdünstungen von zermahlenem Fleisch war eine Spur von Bergamotte beigemischt, die ihn in wilde Wut versetzte. Seine linke Hand zerquetschte die Augen des Hundes. Seine rechte schloß sich um den Unterkiefer. Wie ein Schraubstock hielt nun der Rachen Séraphins beide Hände gefangen. Die Eckzähne des Tieres drangen in sein Fleisch, bohrten sich ein wie Nägel. Das kam ihm nur gelegen. Beide Hände fest verhakt, die eine um den Oberkiefer, die andere um den Unterkiefer, begann er, sie langsam auseinanderzustemmen, mit all seiner Kraft, mit all seinem Haß, mit zusammen- gebissenen Zähnen, den Blick zum Himmel gerichtet. Es war ihm gelungen, den Körper des Tiers zwischen seinen Schenkeln festzuklemmen, und er zog und zog … Auf einmal krachte es tief im Inneren des roten Schlundes, irgend etwas war gerissen. Der Hund stieß einen verzweifelten Schnarchlaut aus und gab den Kampf auf. Mit seinen tief ins Fleisch gebohrten Zähnen blieb er an Séraphins Händen hängen. Séraphin mußte sie wie Angelhaken entfernen. Das befreite Tier begann darauf, sich im Kreis zu drehen, mit weit geöffnetem Maul, unfähig, es wieder zu schließen. Séraphin atmete so viel Luft ein, wie in seinem Brustkorb Platz fand. Er warf sich auf das Tier, packte es an den Hinterpfoten. Er ließ diese fünfzig Kilogramm schwere Masse einmal, zweimal, dreimal über seinem Kopf kreisen. Jedesmal schleuderte er sie gegen den Boden. Die Wut des Krieges, der Rauschzustand des Angriffs, der Geruch nach billigem Schnaps, die ganze Bestialität des Menschen stiegen wieder in ihm auf – dieses Mal nur wegen einer Spur von Bergamotte in den üblen Ausdünstungen eines Hunderachens. Fünfmal, sechsmal noch ließ er diese armseligen Überreste zu Boden krachen. Er war mit Blut befleckt, von Blut geblendet, dem seinen und dem des Tieres. Er hörte erst auf, als auch er den Mund nicht mehr zukriegte, weil ihm die Luft ausging.
Er fiel auf die Knie. Und auf Knien, fast auf allen vieren, schleppte er sich die einhundertfünfzig Meter voran, die die beiden Hunde ihm entgegengelaufen waren.
»Charmaine …« hauchte er.
Zum ersten Mal in seinem Leben sprach er so den Vornamen einer Frau aus. Es gelang ihm, sein zerfetztes Hemd auszuziehen. Er bedeckte damit den verstümmelten Körper.
Er faltete seine von den Zähnen der Hunde zerbissenen Hände, aus denen das Blut in Strömen floß.
» Vater unser im Himmel … «
Niemals, auch nicht während des ganzen Krieges, war ihm dieses Gebet über die Lippen gekommen, seit der längst vergangenen Zeit, als die Barmherzigen Schwestern es ihm jeden Abend eingetrichtert hatten. Nun erbrach er es – zusammen mit einem Strom von Tränen. Wort für Wort verstand er jetzt, was es bedeutete.
Er hörte ein ihm vertrautes Geräusch. Irgendwo wurde ein Gewehr geladen. Durch den Schleier seiner Tränen hindurch konnte er in einem Mondstrahl die Dragonerin erkennen, wie sie auf ihn zielte. Er sagte sich, daß er nun Ruhe finden würde. Aber dann sah er aus den Buchsbäumen eine Gestalt unaufhaltsam hervorbrechen. Sie warf die alte Frau zu Boden, riß ihr das Gewehr aus den Händen, schoß die zwei Patronen in die Luft und machte sich dann wütend daran, die Waffe an der Einfassung der Allee zu zerschlagen und die Überreste weit in die Buchsbäume hineinzuschleudern. Es war Marie. Erst pflanzte sie sich vor Séraphin auf, dann fiel auch sie auf die Knie.
»Mein Gott!« rief sie aus. »Deine Hände!«
Sie riß sich den Schal, den sie trug, vom Hals. Sie streckte
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