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Das erstaunliche Abenteuer der Expedition Barsac

Das erstaunliche Abenteuer der Expedition Barsac

Titel: Das erstaunliche Abenteuer der Expedition Barsac Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Verne
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zahlreichen Pickeln übersät, die so gerötet sind, daß sie fast blutig wirken. Der dicklippige Mund hängt nach unten schlaff herab und entblößt dabei starke, gesunde, aber gelbe, ungepflegte Zähne. Die tief in ihren Höhlen liegenden Augen, über denen sich struppige Brauen wölben, strahlen einen ungewöhnlichen und augenblicksweise sogar unerträglichen Glanz aus.
    Eine ganz gewiß nicht alltägliche Persönlichkeit! Alle Begierden, alle Laster, alle Tollkühnheiten drücken sich mit Sicherheit in ihr aus. Er ist häßlich, ja, aber auf eine furchteinflößende Art.
    Seine Majestät trägt eine Art Jagdkostüm aus grauem Leinen, mit kurzer Hose, Gamaschen und einem losen Rock, alles schmutzig, mit Flecken bedeckt. Auf den Tisch hat der hohe Herr einen breitrandigen Filzhut gelegt, daneben seine rechte Hand, die von einem ständigen Zittern in Bewegung gehalten wird.
    Durch ein unauffälliges Zwinkern weist Dr. Châtonnay mich auf diesen Tremor hin. Ich verstehe, was er sagen will: Wir haben einen Alkoholiker, wenn nicht einen Trunkenbold vor uns.
    Lange läßt dieses Individuum seine Blicke über uns schweifen. Seine Augen wandern nacheinander vom einen zum anderen. Wir warten geduldig ab, was er befinden wird.
    »Sie sind sechs Personen, hat man mir gesagt«, äußert er sich schließlich in einem stark englisch gefärbten Französisch und mit einer dunkeltönenden heiseren Stimme. »Ich sehe nur fünf vor mir. Weshalb?«
    »Einer von uns ist krank infolge der Leiden, die Ihre Leute uns zugemutet haben«, antwortet Monsieur Barsac.
    Wieder tritt Schweigen ein, dann richtet sich unser Gesprächspartner jäh auf.
    »Was wollen Sie hier bei mir?« fragt er uns ›ex abrupto‹.
    Die Frage kommt so unerwartet, daß wir alle trotz des Ernstes der Situation Lust zu lachen verspüren. Das ist doch wirklich die Höhe! Wenn wir hier bei ihm sind, so wahrhaftig doch gegen unseren Willen!
    In drohendem Tonfall fährt er fort:
    »Bestimmt, um zu spionieren!«
    »Verzeihung, Monsieur …« setzt Monsieur Barsac zum Sprechen an.
    Der andere aber fällt ihm ins Wort. Plötzlich von Wut gepackt, schlägt er mit der Faust auf den Tisch.
    »Man redet mich mit ›Mâitre‹ (Hoher Herr) an«, brüllt er mit Donnerstimme.
    Monsieur Barsac ist einfach großartig. Ein Redner stets und immer und allem zum Trotze! Er richtet sich zu stattlicher Haltung auf, legt die Linke aufs Herz und vollführt mit der Rechten eine weitausholende, schwungvolle Geste.
    »Seit dem Jahre eintausendsiebenhundertundneunundachtzig haben die Franzosen keinen hohen Herrn mehr über sich«, erklärt er voller Emphase.
    Überall woanders, gebe ich zu, würde diese ein wenig theatralische Ansprache Monsieur Barsacs belacht werden, doch unter den gegenwärtigen Umständen, gegenüber dieser Art von Bestie, wirkt sie äußerst nobel, wie ich versichern kann. Sie bedeutet, daß wir uns niemals freiwillig diesem trunksüchtigen Abenteurer gegenüber demütigen werden. Wir alle stimmen dem Redner bei, sogar Monsieur Poncin, der, auf dem Gipfel der Begeisterung, ausruft:
    »Privez l’homme de son indépendance, vous lui ôtez sa liberté 1 !«
    Bravo, Monsieur Poncin! Seine Absicht ist immerhin gut.
    Bei diesem allerdings unwiderleglichen Ausspruch hat Harry Killer mit den Achseln gezuckt und dann von neuem begonnen, uns nacheinander prüfend anzuschauen, als habe er uns bisher noch überhaupt nicht gesehen. Ungewöhnlich flink huschen seine Blicke von einem zum anderen. Schließlich bleiben sie an Monsieur Barsac hängen, auf den sie sich mit dem erschreckendsten Ausdruck richten. Monsieur Barsac zuckt nicht mit der Wimper. Mein Kompliment! Dieser Sohn des Südens ist nicht nur mit Redefreudigkeit begabt. Er verfügt auch über Mut und Würde. Unser Expeditionschef steigt mit Riesenschritten höher und höher in meiner Achtung.
    Es gelingt Harry Killer sich zu beherrschen, was sicher nicht immer der Fall ist. Er setzt jetzt sein Verhör mit einer Ruhe fort, die sich ebenso plötzlich einstellt wie zuvor sein Zorn.
    »Sprechen Sie Englisch?«
    »Ja«, antwortet Monsieur Barsac.
    »Und Ihre Gefährten?«
    »Ebenfalls.«
    »Gut«, stellt Harry Killer befriedigt fest und wiederholt dann mit der gleichen Säuferstimme alsbald seine Frage auf Englisch.
    »Was wollen Sie hier bei mir?«
    Die Antwort liegt auf der Hand.
    »Es ist an uns, die Gegenfrage zu stellen«, antwortet Monsieur Barsac, »nämlich, mit welchem Recht Sie uns hier gewaltsam

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