Das erste Buch der Traeume
deiner Wünsche und der dir verliehenen Macht bietest du dem Dä… – nun ja, dem Herrn der Schatten – ein Pfand. Du versprichst ihm das Liebste und Kostbarste, das du hast, das, an dem dein Herzblut hängt.« Er sah mich an, als erwarte er, dass ich nun alles hinschmeißen und zur Haustür rennen würde.
»Ich hab das nicht vergessen«, verteidigte sich Arthur und wirkte das erste Mal, seit ich ihn kannte, eine Spur nervös. »Ich wollte gerade dazu kommen.«
Plötzlich wurde ich von Mitleid überwältigt. Deswegen waren sie alle noch hier. Weil sie wirklich und wahrhaftig Angst davor hatten, der Dämon könne sein Pfand einlösen, wenn sie mit den Ritualen aufhörten.
»Das Liebste und Kostbarste«, wiederholte Grayson. »Wenn du es dir also anders überlegst …«
Ich schüttelte den Kopf. Ich verstand, dass Grayson mir Angst machen wollte und es nur gut meinte, aber wenn ich jetzt ausstieg, war niemandem geholfen. Abgesehen davon, dass ich dann nie erfahren würde, was hinter all dem steckte.
Und was die Sache mit dem Pfand anging: So überraschend und niederträchtig war das nun auch wieder nicht. Wie sollte der Dämon die Leute denn sonst bei der Stange halten? Immerhin erfüllte er im Gegenzug Herzenswünsche und verlieh unermessliche Macht, und er war ein Dämon , herrje, kein Engel – was hatten sie denn erwartet? Am liebsten hätte ich das laut gesagt, aber das wäre vielleicht ein bisschen zu weit gegangen. Ich fing doch jetzt nicht an, einen Dämon zu verteidigen, den es gar nicht gab.
»Sonst noch was, das ich wissen müsste?«, fragte ich stattdessen. Es gab keine Dämonen – das war der Gedanke, an dem ich mich festhalten musste: Weil Dämonen nicht existierten, konnten sie einem auch nichts nehmen, egal, was man ihnen auch versprach. Basta.
Grayson schüttelte resigniert den Kopf. Er ließ meinen Arm los.
»Dann lasst uns beginnen. Es ist alles bereit«, sagte Arthur salbungsvoll und wies auf den kleinen Tisch in der Mitte des Drudenfußes. Darauf waren ein Kelch, Papier, Stift und ein Messer angeordnet.
Ein ziemlich großes Messer, wie ich fand.
Grayson, der meinem Blick gefolgt war, sagte: »Das Jagdmesser von Arthurs Vater, handgeschmiedet.«
»Dreihundertfünfzig Lagen wilder Damast«, ergänzte Jasper, der bisher überraschend still gewesen war. Nicht mal Drinks hatte er gemischt. »Scharf wie ein Skalpell.«
Ich schluckte.
»Je schärfer das Messer, desto geringer der Schmerz«, sagte Henry.
Das sollte mich wohl aufmuntern. »Sagte ich schon, dass ich kein Blut sehen kann?«, fragte ich.
»Ich auch nicht.« Jasper pustete das Streichholz aus, mit dem er die letzte Kerze angezündet hatte. »Ich mache einfach immer die Augen zu, das solltest du auch tun.«
»Stellt euch nun im Kreis auf, Brüder und Schwestern«, forderte Arthur.
Ich biss mir auf die Lippe. Das letzte Mal im Kreis aufgestellt hatte ich mich im Kindergarten. Es tanzt ein Bi-Ba-Butzemann in unser’m Kreis herum … Aber dann fiel mein Blick auf das Messer, und das Lachen, das aus mir herausblubbern wollte, verzog sich wieder.
»Fünf haben das Siegel gebrochen, fünf haben den Eid geleistet, und fünf werden das Tor öffnen, wie es geschrieben steht«, sagte Arthur. »Wir sind heute zusammengekommen, um den Kreis wieder vollkommen zu machen und unseren Eid zu erneuern.«
Und dann geschah etwas Merkwürdiges. Wenn man mir das Ganze vorher beschrieben hätte, ich hätte geschworen, dass ich mich vor Lachen am Boden gewälzt hätte. Aber so war es nicht. Ich weiß nicht, ob es an den vielen Kerzen lag oder an dem feierlichen Ernst oder vielleicht doch an Graysons Warnung von vorhin, aber irgendwie hatte ich einen Kloß im Hals, als ich nachsprach, was Arthur mir vorlas. Ich versuchte gar nicht erst zu übersetzen, was ich sagte, ich wusste nur, dass sanguis Blut hieß, und das Wort kam mit Abstand am häufigsten vor, in allen Deklinationsformen. Ab und zu mussten auch die anderen etwas nachsprechen, wobei sie dann eher tonlos vor sich hin murmelten, ganz anders als Arthur, der seinen Part in klaren Worten intonierte, so hingebungsvoll, als würde er auf einer Bühne stehen.
Schließlich musste ich an den Tisch treten und meinen Wunsch auf das Blatt Papier schreiben. Obwohl ich ziemlich lange dafür brauchte – ich wollte auf Nummer sicher gehen –, warteten die anderen geduldig, bis ich fertig war. Ich wünsche mir, dass Dämonen nicht existieren und daher auch niemandem etwas antun können. Gut, das war
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