Das erste der sieben Siegel
hatte sie schon angeordnet, aber der ›Tempel‹ hatte Einspruch eingelegt. Ich meine, sie hatten die Dokumente des Jungen. Unterschrieben und versiegelt. Notariell beglaubigt. Sein Testament. Seine Unterschrift, keine Frage. Er wollte dort beerdigt werden, und er wollte nicht, dass seine sterblichen Überreste ›entweiht‹ werden. Das hatte er sogar in seinem Testament ausdrücklich geäußert. Und dann verschwinden Mom und Pop von der Bildfläche, und – peng – war die Frage nur noch rein akademisch.«
Der Kellner kam mit der Rechnung, und Frank reichte ihm seine Visacard, unsicher, ob sie nicht vielleicht schon gesperrt war. »Meinen Sie, sie könnten mir die Namen der Leute von der Crystal Dragon nennen, mit denen Sie gesprochen haben?«, fragte er. »Vielleicht könnte ich mich auch mal mit denen unterhalten.«
Kramer spitzte die Lippen. »Ich denke, ja«, sagte er, »Geben Sie mir Ihre Faxnummer, dann schicke ich Ihnen meine Memos.«
Frank nannte ihm die Nummer und fragte: »Wie ist es denn da oben? In Placid.«
Kramer schüttelte den Kopf. »Weiß nicht. Es ist … gepflegt. Ziemlich gut organisiert. Ganz offensichtlich haben die Leutchen ordentlich Geld. Der Anführer ist ein Spinner, aber – was soll’s, es macht sie glücklich.«
Sie verabschiedeten sich auf dem Parkplatz, Kramer bedankte sich für die Einladung zum Essen und versprach, sich zu melden, sobald irgendwas auf seinem ›Radarschirm‹ auftauchte. Dann stieg er in den Jaguar, der brüllend ansprang, rollte vom Parkplatz, winkte kurz über die Schulter und verschwand im fließenden Verkehr.
Frank sah ihm nach, dann stieg er in seinen Saab und ließ sich das Gespräch noch einmal durch den Kopf gehen. Vielleicht sagte Kramer ja die Wahrheit, aber Frank schien es, als hätte der Privatdetektiv eine bestimmte Absicht verfolgt, nämlich die Geschichte herunterzuspielen. Warum sollte er das tun, fragte sich Frank. Die meisten Detektive waren ganz wild auf Publicity. Je häufiger ihr Name in den Zeitungen auftauchte, desto mehr Kunden hatten sie.
Als er vom Parkplatz Richtung Norden fuhr, bereute er, dass er soviel über seine Nachforschungen preisgegeben hatte, vor allem seinen Verdacht wegen der Ertrunkenen. Und er bereute es sogar noch mehr, als er nur wenige Querstraßen vom Restaurant entfernt Kramers Jaguar auf dem Parkplatz neben einem Schnellimbiss stehen sah und den Detektiv selbst, wie er aufgeregt in das Münztelefon daneben sprach.
Frank wurde langsamer und vergewisserte sich, dass es wirklich Kramer war, dann fuhr er weiter. Hoffentlich geht es dabei nicht um mich, dachte er.
21
Daytona Beach, Florida
Wie die meisten seiner Nachbarn in Pine Creek war auch Gene Oberdorfer Rentner. Etwa vier Monate zuvor war er aus Lake Placid nach Florida gezogen, fest entschlossen, nie wieder einen Winter im eiskalten Norden über sich ergehen zu lassen.
Pine Creek, das um einen Golfplatz herum gebaut worden war und zwei bewachte Einfahrten hatte, unterschied sich eigentlich nicht von vielen anderen Siedlungen in Florida. Aber in gewisser Hinsicht war es etwas ganz Besonderes, und das wurde jedem klar, der zwischen dem siebten und achten Loch auf dem Golfplatz unterwegs war. Neben dem durch Streifen auf dem Asphalt markierten Übergang über eine, wie es aussah, kleine Straße stand ein Holzschild mit der Aufschrift:
F LUGZEUGE HABEN V ORFAHRT
In Florida, wie überall sonst auf der Welt, bevorzugen Bauplaner unbebautes Land, weil es Abrisskosten spart. Folglich hatten sie das Gebiet von Pine Creek jahrelang ignoriert, weil sie den mittendrin liegenden Flugplatz aus dem Zweiten Weltkrieg als Hindernis betrachteten. Für sie waren die Rollbahnen nur zusätzliche Kostenfaktoren – etwas, das man hätte abtragen müssen. Was eine Menge Arbeit und schweres Gerät erforderte.
Aber wo andere nur Schwierigkeiten sahen, entdeckte der Bauplaner, der Pine Creek schließlich gestaltete, eine günstige Gelegenheit. Er nannte seine Schöpfung Pine Creek Fly-In und schuf ein regelrechtes Paradies für die Besitzer kleiner Flugzeuge – für Leute wie John Travolta und Gene Oberdorfer. Der Haupthangar des kleinen Flughafens und die Abstellplätze auf dem Vorfeld waren nichts Besonderes – eigentlich ganz ähnlich wie auf dem kleinen Flugplatz, wo Oberdorfer seine Cessna früher untergestellt hatte.
Einmalig an Pine Creek war das System von Rollbahnen, die bis vor die Wohnhäuser führten, und die Hangars, die aussahen wie zu groß geratene
Weitere Kostenlose Bücher