Das erste Gesetz der Magie - 1
zielstrebig laufen können wie Richard, der sich einfach den Weg freihackte. Wenn sie aus Versehen einen Schatten berührte, war sie tot. Um sie herum tauchten so viele auf, daß es zu einem Irrgarten in Grau wurde. Richard kämpfte einen Kreis um den Jungen frei, der ständig kleiner wurde. Er hielt das Schwert mit beiden Händen gepackt und schlug wild um sich. Keinen Augenblick durfte er langsamer werden, sonst würden sie ihn berühren. Die Schatten nahmen kein Ende.
Kahlan kam kein Stück mehr vorwärts. Die ringsum schwebenden Schatten, die vorbeizischenden Pfeile schnitten ihr bei jeder Drehung den Weg ab, zwangen sie zurückzuspringen, sobald sie glaubte, einen Durchschlupf gefunden zu haben. Richard konnte unmöglich länger durchhalten. so sehr er auch kämpfte, der Kreis schloß sich immer enger um den Jungen. Ihre einzige Chance war Kahlan, und die war nicht einmal in der Nähe.
Wieder schoß ein Pfeil vorbei. Die Feder streifte ihr Haar.
»Hört auf mit den Pfeilen!« brüllte sie wütend den Vogelmann an. »Hört auf mit den Pfeilen! Ihr bringt uns um!«
Gereizt bemerkte er ihre mißliche Lage und gebot den Bogenschützen widerwillig Einhalt. Aber dann zückten sie alle ihre Messer und rückten rasch gegen die Schatten vor. Sie hatten keine Ahnung, was sie vor sich hatten. Sie würden bis auf den letzten Mann aufgerieben werden.
»Nein!« kreischte sie. »Wenn ihr sie berührt, seid ihr tot! Bleibt zurück!«
Der Vogelmann hob den Arm und hielt seine Männer zurück. Sie wußte, wie hilflos er sich fühlen mußte, wenn er sie jetzt zwischen den Schatten hindurchschießen sah, und sie sich immer näher an Siddin und Richard herankämpfte.
Dann hörte sie eine andere Stimme. Toffalar. Er brüllte irgend etwas.
»Haltet sie auf! Sie vernichten die Seelen unserer Vorfahren! Schießt sie mit den Pfeilen nieder! Erschießt die Fremden!«
Die Bogenschützen sahen sich an und luden zögernd nach. Einem der Dorfältesten durften sie nicht den Gehorsam verweigern.
»Erschießt sie!« gellte er mit rotem Gesicht, die Faust schüttelnd. »Ihr habt mich gehört! Erschießt sie!«
Sie rissen ihre Bögen hoch. Kahlan ging in die Hocke und machte sich darauf gefaßt, den Pfeilen aus dem Weg zu springen, sobald sie abgeschossen würden. Der Vogelmann trat vor seine Leute, breitete die Arme aus und zog den Befehl zurück. Zwischen ihm und Toffalar kam es zu einem Wortgefecht, das sie nicht verstand. Sie ergriff die Gelegenheit, sich unter den ausgestreckten Armen der schwebenden Schatten weiter vorzuarbeiten.
Aus den Augenwinkeln entdeckte sie Toffalar. Er stürmte mit einem Messer in der Hand auf sie zu. Egal. Früher oder später würde er in einen Schatten hineinlaufen und getötet werden. Gelegentlich blieb er stehen und flehte die Schatten an. Vor lauter Geheul verstand sie nicht, was er sagte. Als sie sich das nächste Mal umdrehte, hatte er sie fast erreicht. Unfaßbar, daß er in keinen hineingelaufen war. Irgendwie schienen sich die Lücken vor ihm aufzutun, als er mit wutverzerrtem Gesicht acht- und kopflos auf sie zuraste. Sie machte sich immer noch keine Sorgen. Bald mußte er in einen hineinlaufen und würde sterben.
Der Ring aus Schatten um Richard und Siddin erwies sich für Kahlan als undurchdringliche, graue Wand. Es gab keine Öffnung. Sie tauchte nach rechts, nach links, versuchte einen Eingang zu finden, konnte aber nicht durch. Sie war so dicht dran und doch so fern. Die Falle schien sich auch um sie zu schließen. Verschiedene Male entkam sie nur knapp durch einen Schritt zurück, bevor sich die Schatten zusammenschoben. Richard versuchte zu erkennen, wo sie steckte. Mehrere Male wollte er sich zu ihr durchkämpfen, mußte sich aber dann jedesmal wieder auf die andere Seite schlagen, um Siddin die Schatten vom Leib zu halten.
Mit Entsetzen sah sie, wie das Messer durch die Luft schnitt. Toffalar stand neben ihr. Blind vor Haß kreischte er etwas, das sie nicht verstand. Doch das Messer und seine Absicht waren eindeutig. Er wollte sie umbringen. Sie tauchte unter seinem Hieb weg. Ihre Eröffnung.
Und dann machte sie einen Fehler.
Sie wollte gerade nach Toffalar greifen, als sie merkte, wie Richard sie ansah. Der Gedanke, er könnte sehen, wie sie ihre Macht benutzte, ließ sie kurz zögern, und Toffalar erhielt den winzigen Augenblick, den er brauchte. Richard schrie ihren Namen, wollte sie warnen. Dann mußte er sich umdrehen, um die Schatten hinter sich zurückzuschlagen.
Toffalar
Weitere Kostenlose Bücher