Das erste Gesetz der Magie - 1
sie fertig war, kam der kleine Koch und wischte ihr Hände, Arme und Gesicht mit einem Handtuch ab. Dann schenkte er ihr ein Stück Zitronenkuchen, drückte es ihr einfach in die Hand, wie es der große Koch mit dem Fleisch getan hatte. Er meinte, er hätte ihn selbst gebacken und wollte gerne wissen, ob er gut sei. Sie sagte, ganz der Wahrheit entsprechend, daß es so ziemlich das Allerbeste sei, was sie je gegessen hatte. Er grinste.
Dies war ungefähr der schönste Tag gewesen, soweit sie zurückdenken konnte. Zwei schöne Erlebnisse am selben Tag, erst die Kummerpuppe und jetzt das Essen. Sie fühlte sich wie die Königin höchstpersönlich.
Als sie später im großen Speisesaal auf ihrem kleinen Stuhl hinter der Prinzessin saß, war sie zum allerersten Mal nicht ausgehungert, und deshalb knurrte auch ihr Magen nicht, während all die wichtigen Leute speisten. Die Haupttafel, an der sie saßen, stand drei Stufen höher als alle anderen Tische, daher konnte sie den ganzen Raum sogar von ihrem niedrigen Stuhl aus überblicken, wenn sie sich aufrecht hinsetzte. Tischdiener eilten überall durch den Saal, schleppten Speisen heran, räumten Teller ab, auf denen noch Essen lag, schenkten Wein ein und tauschten halbvolle Platten auf den Tischen gegen volle aus. Sie beobachtete die feinen Damen und Herren in hübschen Kleidern und bunt verzierten Jacken, die an den langen Tischen saßen und von den überladenen Tellern speisten, und zum ersten Mal wußte sie, wie das Essen schmeckte. Allerdings verstand sie nicht, warum sie so viele Gabeln und Löffel zum Essen brauchten. Als sie die Prinzessin einmal gefragt hatte, warum es so viele Gabeln, Löffel und dergleichen gab, hatte die Prinzessin geantwortet, ein Niemand wie sie brauche so etwas nicht zu wissen.
Beim Bankett wurde Rachel meist nicht beachtet. Nur die Prinzessin drehte sich gelegentlich zu ihr um, sie war nur dort, weil sie die Gespielin der Prinzessin war, zur Dekoration, wie sie vermutete. Auch die Königin hatte Leute, die beim Essen hinter ihr standen oder saßen. Sie meinte, Rachel sei für die Prinzessin zum Üben, zum Üben von Herrschaft, da.
Prinzessin Violet warf einen Blick über die Schulter; Soße troff ihr vom Kinn. »Es ist gerade gut genug, um sie nicht auspeitschen zu müssen. Und du hattest recht, sie sollten nicht so gemein zu mir sein. Wird Zeit, daß sie das begreifen.«
Die Königin saß, wie immer mit ihrem kleinen Hund im Arm, am Tisch. Ständig bohrte er zappelnd seine dürren, kleinen Streichholzbeine in ihre feisten Arme und hinterließ mit seinen Pfoten kleine Dellen. Die Königin fütterte ihn mit Fleischstückchen, die besser waren als alles, was man Rachel je gegeben hatte. Bis zum heutigen Tag jedenfalls, wie Rachel mit einem Lächeln überlegte. Rachel mochte den kleinen Köter nicht. Er kläffte viel, und manchmal, wenn die Königin ihn auf den Boden ließ, rannte er zu ihr und verbiß sich mit seinen winzigen, scharfen Zähnen in ihrem Bein, und sie traute sich nicht, etwas zu sagen. Wenn der Hund sie biß, meinte die Königin immer, er solle vorsichtig sein und sich nicht verletzen. Mit dem Hund redete sie immer in einer komisch hohen, süßlichen Stimme.
Während die Königin und ihre Minister über irgendein Bündnis sprachen, saß Rachel zappelnd dabei, schlug die Knie zusammen und dachte an ihre Kummerpuppe. Der Zauberer stand ein Stück rechts hinter der Königin und erteilte Ratschläge, wenn man ihn darum bat. Er sah in seinem silbrigen Umhang großartig aus. Auf Giller hatte sie bislang nie besonders geachtet, er war einfach einer der wichtigsten Leute im Gefolge der Königin, immer dabei, genau wie ihr kleiner Köter. Die Leute fürchteten sich vor ihm ebenso wie sie vor dem Hund. Als sie ihn jetzt jedoch beobachtete, schien er ihr einer der nettesten Männer zu sein, denen sie je begegnet war. Er beachtete sie während des gesamten Abendessens nicht ein einziges Mal und sah nicht in ihre Richtung. Rachel nahm an, er wollte keine Aufmerksamkeit auf sie lenken, um die Prinzessin nicht zu verärgern. Eine gute Idee. Prinzessin Violet wäre böse, wenn sie wüßte, daß Giller gesagt hatte, er fände Rachels Namen hübsch. Der Königin langes Haar hing hinter ihrem reich geschnitzten Stuhl herab und wogte wellenförmig, wenn sie sich mit den wichtigen Leuten unterhielt und nickte.
Als das Mahl beendet war, rollten Tischdiener einen Wagen mit dem Steintopf herein, bei dessen Zubereitung sie die Köche beobachtet
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