Das erste Jahr ihrer Ehe
aufschlagen«, meinte er, »wenn klar ist, dass wir den Weg auch ohne sie finden können.«
Sie nickte und hoffte, es mit der Ernsthaftigkeit ihres Nickens nicht übertrieben zu haben.
»Der Blick ins Teleki Tal ist atemberaubend«, sagte Willem. »Danach folgt ein kurzer Abstieg und dann ein sehr anstrengender Aufstieg zum Mackinder’s Camp, wo wir die Nacht über bleiben. Samstag. Sonntag. Montag. Montagabend. Wir sollten versuchen, möglichst zeitig anzukommen und früh zu Bett gehen. Am nächsten Tag müssten wir nämlich eigentlich schon morgens um zwei raus.«
»Aua«, sagte Patrick.
Margaret konnte nicht einen Moment die Augen schließen. Sie musste den Blick ständig auf etwas konzentriert halten, wenn sie nicht wollte, dass das Zimmer sich um sie drehte. Sie wünschte, sie könnte um ein dickes Stück Kuchen bitten, das einen Teil des Alkohols absorbieren würde, aber sie hatten das Dessert schon gegessen, eine mit Sherry getränkte Süßspeise, die es bei Diana schon drei- oder viermal gegeben hatte. Vielleicht, dachte Margaret, standen in der Küche noch Reste, aber wahrscheinlich hatte James dort inzwischen längst aufgeräumt. Vielleicht schlief er sogar schon in dem Betonkasten hinter der Garage. Diana und Saartje lachten über irgendetwas, was Margaret nicht mitbekommen hatte. Sie tranken Crème de Menthe aus Champagnergläsern. Margaret konnte das widerlich süße Zeug sogar auf ihrem Platz noch riechen.
»Tag drei. Die Schotterhalde und das Gletscherfeld.« Willem drückte seine Zigarette aus. »Den größten Teil der Strecke klettern wir bei Dunkelheit. Ich gehe den Gletscher nicht gern im Dunkeln, darum brechen wir ein bisschen später auf. Drei Uhr wäre gut. Dann erreichen wir ihn bei Tagesanbruch. Der Gletscher wird teuflisch.«
Margaret versuchte, sich einen Gletscher am Äquator vorzustellen. War es so, dass er abwechselnd schmolz und wieder gefror? Oder war er seit Urzeiten permanent gefroren?
»Ich will nichts beschönigen. Der Schotterhang ist brutal. Drei Stunden lang klettern und keuchen auf steilstem Gelände. Das ist der Teil, wo einen meistens die Höhenkrankheit erwischt. Über den Gletscher lotsen uns der Führer und die Träger. Ihr müsst euch genau an ihre Anweisungen halten. Sie kennen das Gebiet so gut wie sonst keiner. Wir gehen alle am Seil, der Führer und die Träger vorn und hinten. Der Führer schlägt mit einem Pickel Trittstufen ins Eis, denen wir folgen. Es ist ziemlich abenteuerlich und kann ganz schön Angst machen. Wir überqueren das Gletscherfeld in steilem Winkel, und da geht’s verdammt tief runter, das könnt ihr mir glauben.« Er trank einen Schluck aus seinem Glas. »Dann geht’s weiter zur Top Hut. Die, die dann noch fit genug sind, können den Gipfel in Angriff nehmen. Mal sehen. Wir sind zu sechst. Höchstens zwei werden den Gipfel schaffen.«
»Und was wird aus den Übrigen?«, fragte Margaret.
»Die wälzen sich stöhnend vor Kopfschmerzen auf ihren Pritschen. Oder sie übergeben sich nonstop. Was man natürlich keinem wünscht. Die Kopfschmerzen sind übel genug. Bis zum Gipfel ist es ein Anstieg von ungefähr einer Dreiviertelstunde über ein steiles Schneefeld. Aber es lohnt sich.«
»Ja, ist denn das nicht der Zweck der Übung?«, warf Diana ein. »Da oben anzukommen?«
»Meinst du?«, konterte Arthur. »Ich hätte gedacht, die Tour selbst wäre das Ziel. Sie unternommen zu haben, meine ich.«
»Im Augenblick hätte ich nichts dagegen, sie schon hinter mir zu haben«, bemerkte Patrick.
Margaret lächelte ihrem Mann zu.
»Und dann müssen wir wieder runter«, sagte Arthur, der sich auf diesen Teil der Tour sichtlich freute.
»Der Abstieg geht schnell«, sagte Willem. »Auf dem Schotter ist allerdings Vorsicht geboten, da kann man sich leicht mal den Knöchel brechen. Jetzt das Medizinische. Es gibt zwei wirklich ernste Erkrankungen: Das Höhenlungenödem und das Höhenhirnödem. Das Erstere ist durch blutigen Schaum vor dem Mund gekennzeichnet, beim zweiten treten Ataxie, Sprechstörungen und allgemeine Verwirrtheit auf. In beiden Fällen hilft nur ein Mittel: sofort runter vom Berg. Und manchmal wirkt nicht einmal das. Das Höhenlungenödem ist eine extrem gefährliche Sache.«
Margaret hatte den Eindruck, sagte es aber nicht laut, dass sie in eben diesem Moment an einem leichten Hirnödem litt.
»Wir brauchen also Folgendes«, wandte sich Willem an Margaret. »Aspirin gegen Fieber und Kopfschmerzen, Ibuprofen gegen
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