Das erste Jahr ihrer Ehe
Irrsinn!«
»Es kommt einem wie Irrsinn vor, wenn man Amerikaner auf amerikanischem Boden ist. Wenn man in einem Café in Nairobi sitzt, ist es leichter zu verstehen.«
Margaret fragte sich, ob das wirklich so war. »Ja, aber sollte man nicht riskieren, deportiert zu werden, um diese Sache ans Licht zu bringen?«, fragte sie. »Warum sind sie umgebracht worden?«
»Es hieß, sie gehörten einer Gruppe Studenten an, die gegen die Verhaftung des Autors Thomas Oulu protestieren. Er sitzt ohne ordentliche Gerichtsverhandlung in Haft.«
»Warum?«
»Weil die Regierung ihm vorwirft, umstürzlerische Schriften verfasst zu haben.«
»Aber das sind doch lauter blutjunge Leute.«
Patrick sah kurz auf, dann beugte er sich zu ihr hinüber. »Nur mal als Beispiel: Wenn ich dem Evening Standard auch nur ein Wörtchen flüstere, muss ich damit rechnen, dass der Redakteur es an jemanden bei der Regierung weitergibt. Er würde es wahrscheinlich sogar tun müssen, wenn er vorhätte, die Sache zu recherchieren. Und dann würde ich verhaftet werden und du vielleicht auch. Und ich vermute, sie würden nicht allzu lange brauchen, um herauszubekommen, wer meine Quelle war. Diese Person würde ebenfalls verhaftet und vielleicht hingerichtet werden. Die Familie würde mit größter Wahrscheinlichkeit Repressalien ausgesetzt werden. Aber nehmen wir an, ich mache es anders. Nehmen wir an, ich verlasse das Land freiwillig und wende mich direkt an die New York Times . Auch dort werden sie meine Quelle wissen wollen – und die kann ich nicht preisgeben. Und wenn sie wunderbarerweise beschlössen, der Sache dennoch nachzugehen, und jemanden mit Nachforschungen beauftragen – glaubst du, dass irgendjemand, der wirklich etwas weiß, mit einem amerikanischen Reporter sprechen würde? Aus Furcht vor Repressalien gegen ihre Familien bleiben die meisten Kenianer stumm.«
»Vielleicht unterschätzt du die Fähigkeiten guter Reporter.«
»Meinst du?«
»Wann hast du davon gehört?«
Der Student am Nachbartisch hob den Kopf und warf einen Blick auf Margaret.
»Vor ungefähr einer Woche«, antwortete Patrick flüsternd.
»Und du hast mir nichts davon gesagt?«, fragte sie.
»Ich hätte dir wahrscheinlich erst davon erzählt, wenn ich mir Gewissheit verschafft hätte. Und vielleicht nicht einmal dann. Ich wollte, ich wüsste gar nichts davon.«
»Aber wie kannst du mit diesem Wissen leben?«
Patrick sprach schnell. »Genauso wie ich mit dem Wissen leben kann, dass der Mathari Slum die Hölle auf Erden ist, dass es nichts Ungewöhnliches ist, wenn nachts eine mit Pangas bewaffnete Bande ein Fahrzeug aufhält und sämtliche Passagiere mit ihren Macheten niedermetzelt und dass die schamlose Korruption, die von den höchsten Stellen ausgeht, nach Kenyattas Tod noch viel schlimmer werden wird.«
»Und trotzdem wolltest du unbedingt hierherkommen. Wozu?«
»Um meinen Beitrag zu leisten? Um ganz egoistisch Studien zu betreiben, die für mich hochinteressant sind? Um meine Karriere voranzutreiben?«
»Du tust es, um Leben zu retten«, sagte Margaret.
»Das hoffe ich.«
Sie lächelte.
»Fertig?«, fragte er.
Margaret nahm ihre Strohtasche und das Päckchen mit den Stiefeln. Patrick stand auf und legte ein paar Schillinge auf den Tisch. Als sie das Café verließen und durch das Hotelfoyer gingen, hakte sie sich bei Patrick ein. Sie fühlte sich sicherer so.
Arthur schien leicht amüsiert. Diana war entsetzt. Draußen ging ein Wolkenbruch nieder, der Regen so schwer und dicht, dass Margaret hinter den Fensterscheiben nicht das Geringste erkennen konnte. Sie saßen in irgendeinem kleinen Raum neben dem Salon. James hatte den Tee serviert, und Diana schenkte ein. Margaret merkte, dass ihre Hände zitterten, und fragte sich, warum jetzt, wo mir nichts mehr passieren kann?
Patrick setzte sich Margaret gegenüber. Er war gerade erst gekommen, weil er noch das Hemd gewechselt hatte, das auf dem Weg vom Auto zum Haus klatschnass geworden war. Diana war in die Stadt gefahren, um sie abzuholen. Margaret hatte mit ihr im Auto gewartet, während Patrick den Papierkram bei der Polizei erledigte.
»Armes Kind«, hatte Diana mehrmals gesagt, als wäre Margaret ihre Nichte.
Auf der Heimfahrt, mit Patrick auf dem Rücksitz, war das Unwetter losgebrochen. Margaret wusste, dass es so plötzlich wieder aufhören würde, wie es angefangen hatte. Innerhalb von Minuten würde die Sonne das nasse Land erleuchten, und in Bäumen und Gras würde es funkeln von
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