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Das erste Jahr ihrer Ehe

Das erste Jahr ihrer Ehe

Titel: Das erste Jahr ihrer Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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Sie war so unerfahren gewesen wie sie alle. Oder war sie von ihrer Unbesiegbarkeit und ihren Fähigkeiten so felsenfest überzeugt gewesen, dass sie geglaubt hatte, sie würde siegen, selbst wenn sie diesen Wahnsinn wagte?
    Und was genau hatte sie eigentlich zu erreichen geglaubt? Sie wäre wenige Minuten vor der Gruppe auf der anderen Seite des Gletschers angekommen. Was hätte sie mit diesen Minuten angefangen? Hätte sie sich niedergesetzt und lächelnd auf die anderen gewartet? Wäre sie auf einen kleinen Vorsprung hinaufgeklettert, um auf die anderen, die sich noch auf dem Eis abmühten, herabblicken zu können? Oder sollte es nur ein Ihr könnt mich mal an Margaret und Arthur sein?
    Margaret vermutete, dass Teile von allem – Hochmut, Gekränktheit, Ärger, ein Drang, die Erste zu sein, Wut – in einem Moment der Kopflosigkeit zusammengewirkt und Diana dazu verleitet hatten, sich vom Seil loszumachen.
    »Wir werden ein Mal darüber sprechen«, sagte Patrick, als er am nächsten Morgen aus dem Schlafzimmer kam. Margaret war früh aufgestanden und hatte das Frühstück gemacht – Eier und Schinken, Mangoscheiben und Papayasaft. Wahrscheinlich hatte der Duft des Schinkenspecks ihn geweckt. »Und dann nie wieder.«
    In Jeans und einem kurzärmeligen Hemd setzte er sich an den Frühstückstisch und stocherte in einem Ei herum.
    Margaret war froh, dass er reden wollte. Sie hoffte, es würde die Atmosphäre reinigen. Sie glaubte, wenn sie über das sprachen, was passiert war, würden sie es besser verstehen. Sie glaubte, dass schon das Sprechen darüber die Spannung lösen würde.
    »Zwischen uns war nichts«, sagte sie.
    Patrick rieb sich das Kinn mit dem Handknöchel. »Doch, Margaret, da war etwas.«
    Im ersten Moment war sie fassungslos. Dann sagte sie: »Ich habe gemerkt, dass Arthur ab und zu mit mir geflirtet hat, aber ich habe es für harmlos gehalten.«
    Patrick ergriff seine Kaffeetasse und stellte sie dann wieder ab. »Harmlos für wen?«
    »Wenn dir etwas aufgefallen ist und du den Eindruck hattest, dass es nicht gut war, warum hast du dann nichts gesagt? Wenigstens zu mir?«, fragte Margaret.
    Patrick nahm einen Löffel zur Hand. »Ich fand es nicht gravierend genug. Ich war immer von deiner Treue und deiner Integrität überzeugt. Mir hat es keinen Spaß gemacht, Arthur mit dir flirten zu sehen, aber ich war ziemlich sicher, dass das bald aufhören würde. Als ich euch beide Hand in Hand sah, hat’s bei mir geknallt. Ich hätte gedacht, dass du so was nicht zulassen würdest, ganz gleich, wie peinlich es vielleicht gewesen wäre, ihn abzuweisen.« Patrick begann, mit dem Löffel auf den Tisch zu klopfen. »Aber du hast es zugelassen. Klar, dass ich mich fragen musste, was das zu bedeuten hat. Ich wollte weder die Frage noch die Beunruhigung. Ich wollte dich nur wecken und dir die Arme aus den Gelenken schütteln.«
    Das Löffelklopfen wurde schneller. »Ich kann mir also recht gut vorstellen, was in Diana vorging, als sie aufwachte«, fügte er hinzu. »Sie war vor mir auf, und sie hat es bestimmt gesehen. Sonst hätte es den Streit draußen vor der Banda nicht gegeben. Sie dachte, da läuft was. Das weiß ich.«
    »Und deshalb hältst du mich jetzt für schuldig an ihrem Unfall und ihrem Tod.«
    Die Anklage klang scharf durch den sonnigen Raum. Margaret hoffte, Patrick würde sie sofort zurückweisen und sagen, dass Diana ganz allein für das verantwortlich sei, was sie getan hatte.
    Er legte den Löffel weg und stützte vornübergebeugt den Kopf in die Hand. »Ich weiß nicht, was ich denken soll, Margaret. Ich wünschte, ich wüsste es. Aber wenn du und Arthur nicht Händchen gehalten und so dicht nebeneinander geschlafen hättet, wäre bei Diana nie diese Wut entstanden, die sie verleitet hat, so etwas zu tun. Davon bin ich überzeugt.«
    Margaret sagte nichts.
    »Tut mir leid, Margaret. Du hast gefragt.«
    Sie schüttelte langsam den Kopf. Wollte er sie dafür bestrafen, dass sie ihm Anlass gegeben hatte, zu zweifeln? Dass sie ihn zwang, das Bild, das er von seiner Frau hatte, zu ändern? Dass er ihr vielleicht in Zukunft nie wieder würde vertrauen können?
    »Ich habe dir erklärt, wie es war«, sagte Margaret zu ihrer Verteidigung.
    Er sah sie an. »Das ist richtig.«
    »Und du glaubst mir nicht?«
    »Oh, doch, ich glaube dir. Und wäre Diana nicht in eine Gletscherspalte gestürzt und umgekommen, stünden wir jetzt wahrscheinlich jubelnd oben auf dem Mount Kenya und würden uns dazu

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