Das erste Jahr ihrer Ehe
Slums von Mathari vorüberfuhren, hatte sie die Pappdächer der Hütten gesehen, die ineinandergeschachtelt standen, bis kein Stückchen Boden mehr frei war.
»Dieses ganze Viertel wurde während des Mau-Mau-Aufstands gesäubert«, bemerkte Patrick. »Man hielt es für eine Brutstätte von Rebellion und Revolte. Als Kenia unabhängig wurde, kehrten die Leute zurück und bauten Häuser, wenn man sie so nennen kann, aus Holzbrettern oder Lehm. Sie verdienen sich ihren Lebensunterhalt damit, dass sie Zimmer vermieten oder ein Maisbier brauen, das Bazaa heißt und das sie an Kunden, meist Männer, verkaufen, die abends oder an den Wochenenden wie Heuschreckenschwärme in die Slums einfallen.«
»Hast du es schon mal probiert?«, fragte Margaret. »Dieses Bazaa?«
»Grässliches Zeug.«
Nirgends unter ihnen waren Straßen zu sehen, nur meilenweit Teerpappe und Wellblech.
»Kein Wasser, kein Strom, keine sanitären Anlagen, keine Müllabfuhr«, fuhr Patrick fort. »Von Zeit zu Zeit rollt die Polizei mit Planierraupen an und walzt ein paar hundert Hütten nieder. Und das ist gut so. In den Slums breiten sich Krankheiten extrem schnell aus. Cholera, Typhus, Tuberkulose.«
»Und was wird aus den Leuten, die dann kein Dach mehr über dem Kopf haben?«, fragte sie und dachte dabei an Adhiambo.
»Die quartieren sich bei Verwandten ein. Und nach einer Weile wächst alles, was die Regierung niedergewalzt hat, wieder nach. Wie Unkraut.«
Margaret stand wie geblendet auf dem Asphalt. Ihre Augen mussten sich erst an das grelle Licht gewöhnen, ehe sie die blau-weißen Bauten erkennen konnte, die von Massen pinkfarbener und orangeroter Blüten überwuchert waren. Mehrere Männer in grünen Baumwolltrachten schraubten unter einem Wellblechdach an Autos herum. Ein Pfleger in weißem Kittel ging langsamen Schritts mit einer Frau in einem grünen Hemdkleid spazieren. Die Szene kam Margaret auf den ersten Blick ganz normal vor. Erst als ihr Sekunden später auffiel, dass der Kopf der Frau kahl geschoren war, dass der halbwüchsige Junge, der in der glühenden Sonne in einem Hochstuhl herumstrampelte, festgeschnallt war, und dass jedes Fenster in der langen Reihe von Gebäuden vergittert war, begriff sie, dass die Männer an den Autos Kranke waren.
»Das Krankenhaus hat nicht mal halbwegs genug Personal«, sagte Patrick, als sie zum Eingang gingen. »Ich versuche hier nur, die organischen Krankheiten, für die eine andere Behandlung erforderlich wäre, von den rein psychiatrischen Leiden zu trennen. Dafür, dass ich hier im Krankenhaus forschen darf, halte ich immer, wenn ich hier bin, Sprechstunde.«
Margaret zog ihren Strohhut tiefer in die Stirn gegen das gleißende Licht. Gegen den Gestank hätte sie sich höchstens mit einer Maske schützen können.
»Hier sind siebzehnhundert Patienten, von denen achthundert eingesperrt sind«, erklärte Patrick. »Für diese achthundert gibt es acht Ärzte. Rechne dir’s aus. Jeder ist von Angehörigen oder der Polizei hergebracht worden, weil man ihn seinem Verhalten nach entweder für kriminell oder für suizidal hielt. Die Männerstationen sind auf der anderen Seite des Zauns dort. Wir besuchen heute nur die Frauenstationen.«
Margaret sah Frauen, die im Innenhof auf dem Pflaster lagen, einige allein, andere in Paaren. Sie fühlte sich von der Hitze erschlagen und wagte nicht, sich vorzustellen, wie heiß und unbehaglich die Frauen es auf dem Asphalt haben mussten. Sie gerieten in Aufregung, als sie Margaret und Patrick sahen, sprangen auf und umringten Patrick. In Sprachen, von denen Margaret kein Wort verstand, redeten sie auf ihn ein. Er antwortete auf Swahili, sprach den einen Mut zu, ermahnte andere. Margaret konnte genug Swahili, um einige von Patricks Ratschlägen zu verstehen. Sie müssen richtig essen. Viel Wasser trinken. Die Milch trinken, die ihnen angeboten wird. Die Medikamente einnehmen. Und suchen Sie immer den Schatten, wenn es geht. Er drehte sich nach Margaret um und stellte sie vor. Die Frauen tatschten sie an, und sie zwang sich, nicht zurückzuschrecken. Die Hände der Frauen waren verdreckt, und der Gestank, jetzt aus nächster Nähe, trieb ihr das Wasser in die Augen. Vor allem wollten die Frauen ihr Haar mit den sonnengebleichten Strähnen berühren. Sie streckten die Finger nach ihrem Kopf aus und zischten dann, als hätten sie sich verbrannt.
»Sie gelten alle als psychotisch«, erklärte Patrick.
»Dürfen sie nicht ab und zu mal baden?«, fragte
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