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Das erste Jahr ihrer Ehe

Das erste Jahr ihrer Ehe

Titel: Das erste Jahr ihrer Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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Margaret.
    »Der Gestank hier überall kommt von den Toiletten«, sagte Patrick.
    Dann nahm sie der Pflegedienstleiter in Empfang, Mr. Jesani, ein Asiate mit einem Vollbart, der das halbe Gesicht verbarg, dichtem schwarzen Haar und einer Brille mit dicken Gläsern. Er würde sie führen. Margaret fragte, ob sie fotografieren dürfe. Er sagte Nein. Dann vielleicht. Und schließlich, dass er ihr ein Zeichen geben werde, wenn gegen ein Foto nichts einzuwenden sei. Margaret machte an diesem Tag vier Aufnahmen. Eine zwischen den Gitterstäben eines Hofes hindurch, wo die Frauen in Baumwollhemden ziellos herumirrten. Eine zweite von einer Frau mit geschorenem Kopf, die neben einem Drahtzaun auf dem Lehmboden lag. Sie schaffte es, dieses Bild heimlich zu schießen, ohne vorherige Genehmigung. Das nächste Mal richtete sie ihren Apparat auf eine Frau mit gerade nachwachsendem grauen Stoppelhaar, die dabei war, einen Korb zu flechten. Ein viertes Bild, das eigens für Margaret gestellt wurde, zeigte eine Schwester in gestärkter weißer Tracht, die mit einer um einen Tisch versammelten Gruppe Frauen das Lesen übte.
    Eine Station war von einem Maschendrahtzaun umgeben. Gelbe Türen und gelbe Gitterstäbe im Verein mit den grünen Hemden der Frauen verliehen der sonst trostlosen Szene etwas Farbe. Die meisten Frauen hielten sich in Innenhöfen auf, manche allein, andere zu zweit, einige zufrieden damit beschäftigt, Körbe zu flechten. In der Mitte des ersten Innenhofs saß eine schwangere Frau namens Wanjui und trank ihre Sonderration Milch. Wenn in drei Monaten ihr Kind zur Welt komme, erklärte Mr. Jesani, werde es in Dr. Bernards Heim, ein Waisenhaus, gegeben. Das Mathari Hospital sei kein Aufenthaltsort für Säuglinge.
    Das Kind, das Wanjui erwartete, war ihr zweites. Das erste lebte bei der Familie ihres Ehemannes, solange sie im Krankenhaus war. Es war zweifelhaft, ob Wanjui je wieder für ihre Kinder würde sorgen dürfen. In den Augen ihrer Eltern war sie stets ein seltsames Mädchen gewesen, das zu langen, trotzigen Tränenausbrüchen und Wutanfällen neigte. Als sie heiratete, war den Eltern wohler, da sie sofort schwanger wurde und nach der Geburt des Kindes auf ihnen angemessen erscheinende Weise für den Säugling sorgte. Eines Tages jedoch überraschte der Ehemann bei seiner Heimkehr Wanjui dabei, wie sie versuchte, ihr Baby in einer Wanne Wasser zu ertränken. Wanjui konnte nicht erklären, was sie da tat. Manchmal konnte sie sich nicht einmal an den Vorfall erinnern. Manchmal konnte sie sich nicht daran erinnern, dass sie überhaupt ein Kind hatte.
    »Psychotisch«, stellte Mr. Jesani fest.
    Viele der Frauen litten an Halluzinationen und Wahnvorstellungen, während andere alle Beherrschung über ihren Körper verloren hatten. Diese Patientinnen waren es, die Patrick interessierten. Warum konnten sie ihre Körper nicht beherrschen? Patrick war überzeugt, dass einige dieser Frauen bei richtiger Diagnosestellung mit konventionellen Medikamenten behandelt und entlassen werden konnten.
    Im Gras lagen die Frauen so regungslos, dass die Fliegen sich geradewegs, ohne sie erst vorsichtig zu umschwirren, auf den braunen Körpern niederließen. Aus einem langen Korridor hörte Margaret das Klagen einer Frau. Mr. Jesani erklärte, dass sie in ihrem Zimmer eingesperrt bleiben musste, weil sie sich »nicht unter Kontrolle« hatte, wieder ein Verweis auf eine Krankheit, die vielleicht organische Ursachen hatte. In einer Ecke hinter einem Zaun wiegte eine ältere Frau eine jüngere in den Armen wie eine Mutter ihr kleines Kind. Eine aufdringliche Patientin blieb Margaret hartnäckig auf den Fersen, stellte ihr Fragen, die sie nicht verstand, und fasste sie ständig an, sichtlich in der Hoffnung, selbst angefasst zu werden.
    »Tu’s ja nicht«, flüsterte Patrick Margaret zu.
    Sie gingen von Station zu Station, bis sie endlich zur letzten abgeschlossenen Tür gelangten. Zunächst wurde überlegt, ob Margaret der Zutritt erlaubt werden sollte. Mr. Jesani hatte Angst vor dem Chaos, das einem Abweichen von der täglichen Routine vielleicht folgen würde. Weiße Frauen wurden hier selten gesehen. Margaret meinte, wenn es Schwierigkeiten gäbe, würde sie sofort gehen. Mr. Jesani sperrte die Tür zur Station mit den kriminellen Frauen auf.
    Hohe, dicke Steinmauern schlossen die Frauen ein. Das Gebäude war feucht und stickig, von Düsternis und einem entsetzlichen Geruch erfüllt. Die Frauen kamen Patrick und Margaret aggressiv

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