Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das erste Mal und immer wieder

Das erste Mal und immer wieder

Titel: Das erste Mal und immer wieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Moos
Vom Netzwerk:
Mäuse im Haus aus, riefen das Gesundheitsamt an und erzählten von einer Schädlingsplage, dass sie alle Angst hätten, krank zu werden. Ich war genervt, gedemütigt, sprang wieder hin und her und versuchte, alles zu glätten, zu klären, zu helfen. Ich fuhr mit den Unversicherten zum Zahnarzt, erledigte andere Dinge und wurde doch niemals akzeptiert.
    Nun begann ich meine Rechnungen zu schieben und kam selbst vorn und hinten nicht mehr klar. Lieh mir Geld von Stefan, von Michi, von jedem, den ich kannte, und alles wuchs zu einem riesigen Berg. Die Telefone wurden nicht bezahlt, Auslandsgespräche nicht getrennt. Es war ein riesiger Misthaufen, in dem ich stand. Dazu kam jetzt das Finanzamt, sie wären telefonisch und anonym darüber benachrichtigt worden, dass ich ein gut florierendes Gewerbe hätte. Zwei Monate brauchte ich, um alle Papiere zu ordnen, die Buchhaltung zu machen und die schwarzen Hauspachtzahlungen dabei zu verschleiern. Es war ein Martyrium.
    Immer öfter drängelten meine Freunde und versuchten mich zu bewegen durchzugreifen. »Auf den Tisch hauen«, »Tacheles reden«, »alle hinauswerfen«. Aber auch auf der Straße war es ruhiger geworden. Vermietete Zimmer bedeuteten nicht gleich Mieteinnahmen, und überall waren genügend Zimmer lange frei. Ab und zu Miete half mir mehr als leere Zimmer. Aber das war nicht der einzige Grund. Sicher hatten sie Recht, und vielleicht hätte ich es auch gekonnt. Aber für mich hätte das bedeutet, mich zu verändern. Ich hätte mich auf das gesamte Niveau einstellen müssen, und dazu war ich nicht bereit. Wieder mal konnte ich nicht aus meiner Haut heraus. Karla und Maike unterstützten mich, halfen mir, wo sie konnten. Und obwohl sie mich auch »zu weich« und »zu dünnhäutig« nannten, konnten sie mich doch verstehen.
    Während ich kämpfte und versuchte, alles unter einen Hut und vor allem Geld in die Taschen zu bekommen, passierte ein Mord. Ein Mann war erschossen worden, er war ebenfalls Pächter eines Hauses auf unserer Straße. Nun gesellte sich die Polizei zu uns, kontrollierte alle Pässe jedes Besuchers, egal, ob er kam oder ging. Sie parkten ihre Wagen direkt vor den Fenstern der Frauen, und an Geldverdienen war für keine mehr zu denken. Nachts wurde die gesamte Straße mit großen Suchscheinwerfern ausgeleuchtet.
    Wir senkten in jedem Haus die Miete auf die Hälfte, und auch der Hausbesitzer hatte ein Einsehen, dass sein Schwarzgeld vorläufig nur noch 50 Prozent betragen würde. Anders verhielt es sich mit Tommy. Er sah nicht ein, auf sein Geld zu warten, und das hatte er bis dato auch ausreichend.
    Wann immer Christopher nun bei mir in Deutschland war, drängelte er und drohte, den Jungen nicht zurückzunehmen, wenn ich ihm nicht gewisse Summen in die Tasche stecken würde.
    Der Kleine ahnte von nichts und war wie immer ausgeglichen, erzählte mir vom Bootfahren mit Tommy, seinen Freunden und hatte mittlerweile sogar eine Schulklasse übersprungen. Ich war stolz auf ihn, sehr stolz, und klammerte mich daran, sein Leben aufrechtzuerhalten. Ich zahlte in Spanien und ließ alles andere liegen.
    Es war ein Teufelskreis ohne Entkommen.
    Eines Tages meldete sich dann Karla ins Krankenhaus ab. Als ich sie besuchte, freute sie sich wahnsinnig. Ich sah ihr Gesicht vor Freude leuchten und spürte, wie gern ich sie hatte, auch wie sehr ich sie brauchte. Während ich ihren Nachtisch direkt aus dem krankenhauseigenen Plastikgeschirr von ihrem Tablett löffelte, wurde es mir plötzlich klar. Ich löffelte, sah mich um und hörte ihr zu. Es war eine sterbende Frau, die mit mir sprach. Nur drei Wochen später starb sie an Krebs. Sie hatte im wahrsten Sinne des Wortes bis zu ihrem letzten Tag »angeschafft«. Gott weiß, welche Schmerzen sie oft gehabt haben musste, und ich verstand, dass ihr enormer Alkoholkonsum gleichzeitig ihr Betäubungsmittel gewesen war.
    Ihre Krankheit und ihr Tod kamen für alle »aus heiterem Himmel«. Ihre einzige Tochter hatte sich, beschämt über das Leben, welches ihre Mutter führte, seit 20 Jahren nicht mehr blicken lassen. Als es jedoch um die Auszahlung der zu ihren Gunsten abgeschlossenen Lebensversicherung ging, war alle Scham verflogen.
    Kaum war ich zurück, erschien die Polizei. Ich müsse dringend mitkommen; bei mir sei »die Hölle los«. Mit üblen Vorahnungen betrat ich die Straße. Alle meine ausländischen Mieterinnen waren ausgezogen. Ihre Fenster waren mit schwarzer Farbe besprüht: offensichtlich eine Drohung. Die

Weitere Kostenlose Bücher