Das erste Mal und immer wieder
davon ab. Das Kind wollte ich auf keinen Fall, so viel war sicher, und obwohl ich eigentlich gegen Abtreibung war, wusste ich doch, dass es keine andere Möglichkeit gab. Denn eine Adoption war nicht möglich, ich wusste, dass ich als Schwangere mit Sicherheit dieses Haus hätte verlassen müssen. Mein Schulabschluss stand kurz bevor. Es musste eine andere Lösung geben.
Von einer älteren Freundin bekam ich die Telefonnummer eines Arztes in Hamburg. Als ich dort anrief, bestätigte mir eine sehr nette Dame, dass ich absolut anonym und ohne weitere Schwierigkeiten dort die Schwangerschaft im Zwölfwochenrahmen unterbrechen konnte. Alles, was ich noch dazu brauchte, war Geld. Es ging nur mit Barzahlung. Aber sie verlangten 1200 Mark, und das war für mich nicht aufzubringen. Meine Mutter hatte ich nicht eingeweiht, ich wusste nicht wie. Sie lag derzeit schon schwer erkrankt im Schlafzimmer, manchmal konnte sie gar nicht aufstehen, und sehr oft war sie zu schwach, um zur Arbeit zu fahren. Ich hatte Bedenken sie aufzuregen, jetzt, wo oberflächlich gesehen für sie alles einigermaßen harmonisch war. Andere Leute gab es nicht, die ich hätte fragen können.
Nach 35 Lebensjahren bin ich zu der Überzeugung gekommen, das Leben selbst muss manisch-depressiv sein. Denn warum trifft es sonst immer »die Guten«, während »die Bösen« scheinbar verschont werden? Oder rechnet das Leben vielleicht ganz anders ab, nutzt andere, mir verborgene Kriterien?
In meiner Not beschloss ich, mich selbst um eine Lösung zu kümmern, und fuhr zum Bahnhof in die Stadt. Wann immer ich mit Andrea im Bahnhofscafé saß, um auf den Bus zu warten, waren auch ein paar schmierige Typen dort. Sie machten uns eindeutige Angebote, meist hielten sie dabei 50-Mark-Scheine in der Hand, wedelten damit herum und zwinkerten uns zu. Wir lachten darüber, zeigten ihnen einen Vogel und wackelten mit den Hintern. Wir freuten uns, ihre gierigen Blicke zu sehen, und fühlten uns schön und erwachsen.
Doch an diesem Tag war alles anders. Suchend wanderten meine Augen die Tische entlang. Nicht einer wedelte mit Geld oder lachte mich auch nur an. Alles, einschließlich des Wetters, war öde und trist. Ich fühlte mich allein und mutlos wie selten zuvor. Unschlüssig zuppelte ich an meinem knappen Minirock herum und suchte die Beine nach Laufmaschen ab, als sich plötzlich ein Mann an meinen Tisch stellte. »Noch frei hier?« Er hatte eine tiefe, angenehme Stimme. Ich sah ihn an. Er musste um die fünfzig Jahre sein, hatte graues Haar und war sehr gepflegt. Bei sich trug er nur eine dieser ledernen Aktentaschen, die sich die erfolgreichen Lodenmanteltypen der 80er um die Schulter hängten. Seine Fingernägel waren manikürt, und er trug einen schmalen goldenen Ring. Ein Geschäftsmann auf Durchreise, vermutete ich und nickte. Er setzte sich und holte aus seiner Innentasche ein Zigarettenetui heraus. Es schnappte auf. »Rauchst du?« Ich nickte, freute mich über die Zigarette, selber hatte ich keine mehr. Auch mein Colaglas war leer, er bestellte bei der Kellnerin einen Kaffee und sah mich fragend an. »Auch was? Ich lade dich ein!« – »O ja, gern, wieso nicht?«, ich lächelte und dachte an den eigentlichen Grund meines Hierseins. Das fiel mir schwer. Ich hatte keinerlei Vorstellung, wie ich es genau machen sollte und ob die Typen überhaupt Ernst machten oder genauso alberten wie wir.
Zudem hatte ich keine Ahnung, was ich wohl genau machen müsste. Ich orientierte mich an dem Film: »Wir Kinder vom Bahnhof Zoo« und dachte an so was wie, in einem Auto den Schwanz eines Mannes zu wichsen, ihm vielleicht einen zu blasen oder so was. Bei dem Gedanken wurde mir kotzübel, und mir brach der Schweiß aus.
Die Kellnerin brachte zwei Kaffee. Ich bedankte mich. Verlegen sah ich auf die Tasse und rauchte nervös die Zigarette. Vorsichtig taxierte ich mein Gegenüber.
»Auf wen wartest du hier?«, fragte er. »Ich? Auf niemanden, ehrlich gesagt. Ich sitze hier nur so rum, habe meinen Bus verpasst«, log ich. »Warum fährst du Bus? Hast du keinen Wagen? Wo musst du denn hin?« Fragend schaute er mich an. Ob das schon eine Anspielung war? Ich überlegte lange, dann lächelte ich freundlich in seine graublauen Augen. »Ich hab noch keinen Führerschein.« – »Nein, das glaube ich dir nicht, du bist sicher schon 18, ich hätte dich glatt auf 19 oder 20 geschätzt.« Er musterte eindringlich mein Gesicht.
Ich fühlte mich geschmeichelt. »Ich bin aber ehrlich erst
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