Das erste Mal und immer wieder
dann aber anders und nahm einfach die ganze Börse an mich.
Die Tür schnappte hinter mir ins Schloss, und erst da wurde mir gewahr, dass ich etwas Wichtiges vergessen hatte – seinen Schlüssel. Jetzt kam ich nicht mehr rein und hatte seine Geldbörse! Nicht mal einen Zettel hatte ich geschrieben. Ich verdrängte die Gedanken und schlich mich aus dem Haus. Erst mal was essen, vor allem was trinken.
Am Tag wirkte alles viel verschlungener und fremder, als ich es in Erinnerung hatte. Ich erkannte keine einzige Straße wieder und wusste überhaupt nicht, wo ich war. Als Erstes suchte ich ein paar Geldmünzen, um meinem Bruder Bescheid zu sagen. Er war selbst noch ganz verschlafen und sagte nicht viel. Aus der Telefonzelle steuerte ich ein Café an, es sah sehr nobel und gemütlich aus. Ich hatte Glück und fand einen herrlichen Fensterplatz. Ganz so, als hätte ich keine anderen Sorgen, ließ ich auffahren. Frischen Orangensaft, heiße Schokolade, Kaffee und Brötchen. Schinken, Käse, Marmelade. Ich bestellte alles, was man zum Frühstück bestellen konnte.
Gut gestärkt und mit einer Dose Cola gewappnet, machte ich mich auf den Rückweg. Ich klingelte auf gut Glück. Es dauerte gar nicht lange, da ging der Summer. Erleichtert stellte ich fest, dass es die richtige Tür war, und ging hinein. Stefan hatte sie angelehnt gelassen und sich direkt wieder ins Bett gelegt. Verschlafen schaute er mich an.
»Nanu?« Er rieb sich die Augen. »Schon wach und angezogen?« Statt zu antworten hielt ich ihm die Colabüchse unter die Nase. »Hier, hab ich dir geholt.« Erfreut und gierig griff er zu. »Danke, willst du auch was?« Ich lehnte ab: »Nein, ich war schon frühstücken«, und warf ihm bei der Gelegenheit gleich seine Börse aufs Bett. Er guckte ganz verdattert. »Na ja, ich hatte kein Geld bei mir«, stammelte ich etwas verlegen. »Und solch riesigen Durst.« Ich lächelte unsicher. Er nahm die Geldbörse und ließ die Scheine durch die Finger gleiten: »O Mann, das muss ja eine Riesenbüchse gewesen sein.« Aber er lächelte zurück.
»Aber auf einen schönen Kaffee könnte ich auch«, sagte er nun. »Komm, wir gehen noch einen trinken, dann bringe ich dich zurück.«
Stefans Eltern wohnten in demselben Viertel, wo auch die Kneipe meines Bruders war. Am Wochenende hielt er sich überwiegend dort auf und bastelte mit seinem Vater an einer Eisenbahn, die sie im Keller ausbauten. Ich erfuhr an diesem Morgen, dass er noch fünf Geschwister hatte und auch in dem Haus seiner Eltern geboren worden war.
Er hatte die Schule schon früh verlassen und arbeitete seitdem im Handwerk als Dachdecker.
Auf meine Frage nach der Frau im Leben antwortete er ausweichend und faselte irgendetwas von »gerade beendet«.
Ich erzählte dies und das, wo ich herkam und dass ich hier eigentlich nur meinen Bruder besuchen wollte. Auch von meinem Sohn erzählte ich, meiner Trennung und dass ich keine Scheidung wollte, da ich meinen Mann noch sehr liebte. Nach einer sehr netten, ausführlichen Unterhaltung setzte er mich mit einem Taxi wieder bei meinem Bruder ab.
Wir verabschiedeten uns, und ich fragte mich, ob ich ihn abends wiedersehen würde.
Mein Bruder war etwas verstimmt darüber, dass ich so einfach mit einem Mann sein Lokal verlassen hatte. Er machte sich Sorgen, »wie das wohl ausgesehen habe«. Später unterhielten wir uns lange über meine verfahrene Situation. In dieser schwierigen Lage hatte er auch keine so rechte Idee, einzig finanziell versprach er mir etwas zu helfen. Auch er griff die Idee auf, meinen Sohn vorerst bei meiner Schwiegermutter zu lassen. Aber davon wollte ich nichts hören. Ich glaubte noch immer an eine Chance für Jörg und mich und klammerte mich daran fest. Noch immer wollte ich meine Ehe wieder kitten.
Am Abend setzte ich mich schon früh an die Theke. Ich wartete, wartete auf ihn. Er hatte nicht zugesagt zu kommen, aber ich war sicher, dass er wenigstens hereinschauen würde. Und so war es dann auch.
Ich saß mit dem Rücken zur Tür. Jemand kam herein, trat hinter mich und streichelte mir über meine Haare. Ich drehte mich um und sah wieder in die stahlblauen Augen. Mein Herz hüpfte, und glücklich bestellte ich ihm einen Drink. Der Alkohol verfehlte auch an diesem Abend seine Wirkung nicht, und schon bald fing ich wieder an zu plappern. Aber es war nicht nur der Hochprozentige, der meine Nerven fliegen ließ. Auch was ich sah, gefiel mir immer besser. Später am Abend dachte ich nur eines: Wie
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