Das erste Mal und immer wieder
Auch war der Gast für den Laden »verloren«, denn hatte er erst einmal weniger gezahlt, bekam man ihn schlecht wieder auf ein höheres Level. Es war ähnlich wie mit den Getränken. Verlangte eine Frau nur einen Piccolo statt einer ganzen Flasche, spendierte der Mann danach nie mehr als das Fläschchen. Bestand man darauf, wechselte er zu der Frau, die sich mit weniger zufrieden gab. An sich nichts Verwerfliches, aber eben genau das sollte nicht passieren. Aus diesem Grund also waren Privatkontakte nicht gern gesehen, aber auch nicht verboten. Ich hatte kein Problem, mich mit meinen Lieblingsgästen zum Kaffee zu treffen, Sex habe ich mit ihnen jedoch außerhalb der Bar niemals gemacht.
In dieser Zeit sprach ich beim Jugendamt vor. Seit Wochen schon wurde ich immer wieder aufgefordert, die nötigen Papiere für die Adoption zu unterschreiben. Aber das hatte ich nicht getan. Als ich mein Anliegen vorbrachte, fielen die Sachbearbeiter aus allen Wolken. Kurz und bündig wurde mir mitgeteilt, dass so etwas nicht möglich sei. Ich sollte zurückkommen, wenn ich bereit war, die Papiere zu unterschreiben. So lange würde das Kind als Pflegekind gelten und dem Jugendamt unterstehen.
Natürlich hatte ich damit gerechnet, dass nicht alles direkt klappen würde. So rief ich meinen Anwalt an und schilderte ihm die Lage. Er empfahl mir einen Kollegen in meiner Stadt, mit dem ich auch direkt einen Termin vereinbaren konnte. Ohne es zu wissen, stand ich vor dem besten Freund des »neuen Vaters« von Steffen.
Der Anwalt verglich die Daten und war sich sicher, dass eben seine besten Freunde mein Kind hatten und behalten wollten. Er war sehr aufgeregt und erzählte mir in kurzen Worten, wie toll es mein Sohn dort getroffen hatte. Nach einem Gespräch mit den Pflegeeltern unterbreitete er mir einen ungeheuren Vorschlag. Die Leute boten mir eine hohe Summe Geld. Ich sollte es nicht als Bezahlung für das Kind ansehen, sondern eher als Wiedergutmachung für die Schwangerschaft, und den Betrag für mich und meinen ersten Sohn nutzen. Mir wurde klar, dass die Leute furchtbar getroffen waren und alles versuchten, um mich von meinem Vorhaben abzubringen.
Der Ehrlichkeit halber muss ich gestehen, dass ich mir Bedenkzeit ausbat. Ja, das Geld würde sehr helfen. Ich dachte an meine vielen unbezahlten Rechnungen und die mehr als dürftigen Sachen, die Chrissi zur Verfügung standen. In dieser Nacht schlief ich schlecht. Aber der Traum kam zurück und ließ mich nicht zur Ruhe kommen. Ganz sicher konnten diese Leute ihm mehr bieten, als ich es je können würde. Ich hatte nicht mal einen Vater für ihn. Und dennoch, er war mein Kind, und ich wollte sehen, wie es ihm ging.
Am nächsten Tag rief ich den Anwalt an und lehnte das Angebot ab. Ich hatte Angst, dass Menschen, die bereit waren, für meinen Sohn zu zahlen, später auch bereit wären, ihn für Geld in ein Internat oder sonst wohin zu bringen. Schnell merkte der Anwalt, dass ich nicht abzubringen war. Es vergingen ein paar Tage mit diesen und jenen Formularen. Steffen war fast vier Monate alt, als zwei Sachbearbeiterinnen mit dem Kind bei mir vor der Tür standen. Sie brachten mir den Jungen und mit ihm einen Brief, den die »andere Mami« an mich geschrieben hatte. Er zerriss mir fast das Herz.
Die Zeilen waren gefüllt mit seinem Lieblingsessen, seinem Lieblingseinschlafritual und seinem Lieblingsspielzeug. Das hatten sie allerdings nicht mit eingepackt. Bald war ich allein mit meinen Kindern, und erst jetzt traute ich mich, den kleinen Steffen richtig anzusehen.
Er war das Süßeste, was mir je untergekommen war. Richtig groß und kräftig war er schon geworden. Seine Haare strubbelten weizenblond über seinen Kopf, und seine Augen waren gnadenlos blau, wie die seines Vaters. Er hatte diese »Möhrchen im Gläschen«-Bräune, und dadurch kamen die Farben erst richtig zur Geltung. O Gott, ich liebte ihn so. Ich hielt ihn, streichelte und bekuschelte ihn und zeigte ihn Christopher. Ich weinte vor Glück und Erleichterung. Nichts sollte uns je wieder trennen …, dachte ich …
Wohin waren meine Gedanken über Recht und Unrecht gekommen? War ich so egoistisch geworden, dass ich mein Kind opferte, ihm ein trostloses Leben anbot und ihn seiner glücklichen Zukunft entrissen hatte? Waren es Selbstliebe und der Gedanke, ohne ihn nicht leben zu können?
Der Brief schlug mir wie eine Ohrfeige ins Gesicht. Er war sicher nur gut gemeint, doch zerstreuten sich nun meine letzten Zweifel.
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