Das erste Mal und immer wieder
Während Chrissi vergnügt mit seinen Alterskameraden malte und bastelte, musste ich Steffen vorstellen. Er war ja mein Problemkind.
Man erklärte mir, dass ich diesem Kind mehr Grenzen aufzeigen müsse. Dass es egoistisch und eigenwillig wäre. Und noch mehr von diesem Quatsch. Stattdessen ging ich einfach mit ihm in den Park. Er fütterte begeistert die Entchen im Wasser. Er tauschte seinen »Nunu« ab und an gegen ein Eis. Stundenlang konnte er dort herumlaufen und zeigte mir begeistert jeden Grashalm und Strauch, in dem er ein Tier erkennen konnte. Und Fotos machten wir. Er liebte es, sich in Pose zu setzen. Die schöne Zeit war um, und wir traten die Heimfahrt an.
Stefan kam jetzt häufiger nach Hause. Aber trotzdem wir uns beide bemühten, trotzdem wir beide wirklich wollten, klappte gar nichts. Die Stimmung war angespannt, das Glück nur kurz und die Heiterkeit gespielt. Stefan war einfach zu sehr mein Mann, um im Nachhinein zu akzeptieren, dass er eine Dirne geheiratet hatte. Dazu noch, während er dachte, uns gut zu ernähren. Wiederum griff ich ihn an, dass es auch seine Schuld sei. Ich versuchte ihm den Kraftakt zu beschreiben, den ich bewältigt hatte, um den Jungen überhaupt zu bekommen. So ging es hin und her. Bald drehten sich viele Gespräche nur um Steffen. Mein Sohn, dein Sohn, es war die Hölle. Und während wir uns stritten und gegenseitig kaputtmachten, zog jemand ganz anderer die Konsequenzen aus unserem dummen und kindischen Verhalten. Das Leben stellte seine Weichen.
Der Tag verlief wie viele vorher. Wir motzten uns durch die Stunden, Stefan war jetzt nicht mehr beim Bund, arbeitete wieder auf dem Bau und hatte ein paar Bierchen zu viel getrunken. Ich wollte endlich mal wieder was anderes sehen und verabredete mich mit Tanja zu einer Disco Tour.
Natürlich war mir klar, dass ich mit größtem Widerstand zu rechnen hatte. Schon das Duschen und Anziehen wurden zur Qual. »So willst du rausgehen? Soll jeder gleich sehen, was du für eine bist, kannst du ja wieder Geld machen heute Abend in dem Aufzug«, so und schlimmer kommentierte er meine Garderobe. Dabei öffnete er mehrere Büchsen Bier. Obwohl ich bereits Angst bekam, machte ich ungeniert weiter und verließ wie geplant das Haus. Mein Versuch jedoch, mir mit Tanja einen richtig tollen Weiberabend zu machen, schlug kläglich fehl. Ich redete nur von meiner Ehe, meinen Problemen und steigerte mich komplett hinein. Dazu trank ich Alkohol in Massen. Plötzlich war mir ganz klar, dass es keinen Ausweg mehr gab, und ich beschloss, die Ehe zu beenden. Ich fing wieder an zu heulen. Und das mitten in der Stadt. Ich wollte nach Hause, in meiner Alkohollaune war ich bereit, es jetzt sofort und ohne Umschweife zu klären. Entschlossen, die Ehe noch heute Nacht zu beenden und schon morgen ohne Vorwürfe und Selbstzerfleischung weiterzuleben. Das hatte ich im Sinn.
Aber auch Stefan hatte etwas im Sinn. Er dachte wohl ähnlich und hatte seinerseits einen Babysitter besorgt und das Haus verlassen. Als ich Kerstin, die Babysitterin, bei uns sitzen sah, rastete ich aus. Sie verabschiedete sich schnell, und mir war klar, dass sie niemals wiederkommen würde. Das war mir egal. Ich schwankte ins Wohnzimmer, um zu warten. Ich wartete, und es dauerte auch nicht lange, da kam Stefan nach Hause. Er war – genau wie ich – völlig betrunken.
Der Alkohol ließ meine Angst vor dem großen, kräftigen Mann schmelzen, und ich pöbelte los. Ich warf ihm an den Kopf, dass er alles ruiniert hatte und für mich diese Ehe ein Lacher und beendet war. Er holte aus und knallte mir eine. Mit voller Wucht traf er mein Gesicht. Ich stürzte nach hinten und schlug irgendwo gegen. Benommen sah ich nach oben. Da stand er und heulte, heulte los. Und dann ging er, und unsere Ehe war zu Ende. Es war aus. Ein Trümmerhaufen.
Blut lief mir aus der Nase. Als ich versuchte, mich hochzurappeln, bekam ich kaum Luft und musste mit offenem Mund danach schnappen. Und dann sah ich sie, meine Söhne standen beide Hand in Hand an der Tür. Während Chrissi bewegungslos verharrte und mich erschrocken anstarrte, rannte Steffen los. Er rannte auf mich zu und schleuderte dabei seine Arme wie wild durch die Luft. Er kreischte und schrie und heulte. Er kam zu mir und kniete nieder und legte seine Hände vor sein Gesicht, genau wie ich einst, als ich ihn so sehr geohrfeigt hatte. Und er stammelte unter Tränen und völlig aufgeregt immer wieder das eine: »… tut mir so leid, tut mir so leid
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