Das erste Mal und immer wieder
ich es aus Liebe tat, und ich spürte erleichtert, dass sie mir glaubten. Wir sahen uns seine Fotos an, und beide waren sofort in ihn verliebt. Sie war fürchterlich nervös und aufgeregt. Alles war so seltsam anders und doch wussten wir sofort, dass wir es genau so machen würden. Es spielte keine Rolle, dass Steffen kein Baby mehr war.
Auch Stefan hatte ich gebeten vorbeizukommen. Er kam. Er war seit den Vorfällen verändert, still und traurig. Er litt. Aber er gab mir Recht. Wir hatten verloren, wir hatten uns verloren und auch unseren Sohn. Unseren letzten Mut und unsere letzte Liebe warfen wir zusammen, um diesen Schritt zu tun.
Das Ehepaar campte die nächsten sechs Wochen in der Nähe des Kinderheims. Sie näherten sich Steffen sehr liebevoll an, um ihn schließlich mitzunehmen. Ich hatte noch einen letzten Tag mit ihm. Es war sein fünfter Geburtstag, und wir verbrachten ihn im Tierpark.
Das Rechtliche wickelten wir ohne Jugendamt direkt über einen Notar ab. Über eine Stunde hörte ich mir an, was ich nicht mehr durfte, welche Rechte ich verlor, dass es kein Zurück mehr gab. Ich unterzeichnete.
Lieber Steffen, du bist jetzt 14 Jahre alt. Deine Eltern waren so nett und haben mir Bilder geschickt und mir hin und wieder geschrieben, was du so machst. Gern hättest du Babybilder von dir gehabt, doch ich habe »gebockt«, wollte diese Jahre nicht hergeben. Nicht mal auf Bildern. Es tut mir so leid, dass ich dir nicht geben konnte, was du verdient hast. Bis heute und für immer bist und wirst du in meinem Herzen bleiben, mein kleiner blonder Prinz. Meine Liebe und Gedanken waren und werden immer auch bei dir sein.
Diese Zeilen wirst du wohl niemals lesen, und trotzdem sind sie für dich geschrieben. Ich hoffe sehr, du wirst mir eines Tages verzeihen. Das allein ist mein innigster Wunsch!
Nachdem Steffen weg war, stürzte ich mich in die Arbeit, keine Zeit, um nachzudenken, keine Zeit, um auszuruhen. Ich tingelte von Bar zu Bar, von Club zu Club. Ich strippte in der Peepshow, stellte meinen Körper auf dieser runden, rotbeplüschten Scheibe zur Schau. Räkelte mich nackt oder in aufreizenden Dessous vor den kleinen Scheiben. Stellte mir die Spanner dahinter vor, die in ihren kleinen Kabinen ins Kleenex wichsten. Lächelte in die Fenster und spielte an meiner Pflaume, betrank mich vorher, betrank mich danach. Genoss meine Soloauftritte in der Einzelkabine und geizte mit keinerlei Reizen.
Nach der Drehschicht ging ich hinüber in die Bar, sprach jeden Mann an und lockte ihn ins Zimmer. Ließ mich ficken und vögeln, ließ mich beißen und lecken. Saugte Hunderten von Typen das Sperma ab und steckte meine Finger in genauso viele Ärsche; ich rieb meine Brüste im Schweiß anderer und hasste Gott und die Welt.
Im Bett las ich alles, was ich über Sadomaso finden konnte, besorgte mir Kataloge, bestellte mir Folterwerkzeuge und bereitete mich auf das vor, was kommen sollte.
Traf ich Stefan, sah ich Steffen in ihm, sah ich Chrissi, dachte ich an seinen kleinen Bruder. Ich fuhr durch die Stadt und war überall hundertmal mit Steffen gewesen. Niemand kam zu mir durch, ich blockte ab und verbannte alles und jeden aus meinem Leben. Und dann traf ich Jürgen. Und das Roulette begann sich wieder zu drehen.
AKKORDARBEIT
Jürgen war Chef einer großen Abteilung eines Autokonzerns. Er muss Anfang 60 gewesen sein. In seiner Freizeit kleidete er sich recht ausgeflippt. Er setzte sich große mexikanische Hüte auf, zog sich bunte Hemden an und sprang manisch über Tische und Bänke.
Manisch-depressiv, das war er tatsächlich. Durch Medikamente hatte er seine Krankheit im Griff Leider setzte er sie ab, so oft er konnte, und dann verlor er die Kontrolle über sich. Seine Frau hatte jahrelang mit ihm in Mexiko gelebt und gearbeitet, war stolz auf alles, was sie zusammen erreicht hatten. Ein kleines Häuschen hier, ein kleines Häuschen da. Sie wollte ihren Lebensabend auf geruhsamen Reisen ohne Sorge und Kummer verbringen, aber er hatte andere Pläne. Er wollte Spaß und den reichlich.
Jürgen kaufte sich jedes Mädchen im Laden und meistens alle auf einmal. Er hielt alle aus, manchmal auch die anwesenden, ihm völlig fremden Männer. Er zahlte riesige Summen, ständig wurde abgebucht, ausgeschenkt und wieder durchgezogen. Manchmal war ich froh, dass Kreditkarten aus so dickem Plastik sind, denn seine wären ansonsten ganz sicher zerbrochen. In irgendeinem Club gabelte er mich auf und zog mich von nun an häufig zu sich
Weitere Kostenlose Bücher