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Das erste Mal und immer wieder

Das erste Mal und immer wieder

Titel: Das erste Mal und immer wieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Moos
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tröstete ihn. Seine Augen sahen irgendwohin in die Ferne. Und als ich ihn so sah, musste ich plötzlich an mich denken, an meine Kindheit.
    Seine sensible Art, seine Träumereien, seine Verstecke, all das fand ich bei mir wieder. Ich hatte Angst, dass er genau wie ich damals gefangen war. Gefangen in sich selbst. Ich wusste, er würde Hilfe und Liebe brauchen, um dem noch rechtzeitig zu entkommen. Einst hatte ich ihm das Leben geschenkt, nun wollte ich ihm auch ins Leben helfen. Ich setzte ihn ab, und wie immer weinte und klammerte er sich an mich. Immer wieder sah er mich an und sagte: »Ich schaffe das nicht.« Mich wunderte es sehr, woher konnte er diesen Satz nur haben?
    Ich misstraute dem Heim, den Behörden sowieso. Mir war klar, dass ich ihn nicht einfach wieder mitnehmen konnte, ohne ein ewig langes Behördengezänk. Ich beschloss, der Sache eine einzige Chance zu geben. Ich sprach beim Jugendamt vor und bat sie, mich meinen Sohn nach Hause bringen zu lassen. Natürlich hatten mich die letzten Monate gestresst. Ich weinte bei dem Gespräch und bettelte. Sie wollten prüfen, abwarten, testen und sichergehen.
    Es widerte mich an, wie sie so phlegmatisch und dickbäuchig hinter ihren verstaubten Schreibtischen saßen und über die Zukunft meines Sohnes verhandelten. Selbst waren sie bestimmt kinderlos. Ich sei, man könne es ja an meinen Tränen sehen, nervlich nicht in der Lage und auch sonst nicht gefestigt genug. So und ähnlich speisten sie mich ab. Ich rief meinen Anwalt von früher an. Er versicherte mir, dass ich alle Chancen hatte, den Jungen zu bekommen. Aber er ersparte mir auch nicht die Wahrheit, dass es sehr, sehr lange dauern könnte. Verzweiflung packte mich, denn ich wusste, dass dieser kleine Junge nicht mehr so viel Zeit haben würde, um seine Seele noch zu retten.
    Zu Hause kramte ich in meinen Schubladen. Irgendwo musste ein Videoband liegen, das ich für eine Bekannte aufgenommen hatte. Mit zittrigen Fingern schob ich das Band in den Recorder. Ich spulte. Erst der Film, danach das Magazin »Mona Lisa. In Abwesenheit aufgenommen, war das Band nach dem Film einfach weitergelaufen. So befand sich hinter dem Film eine Reportage über Adoptionen. Alle möglichen Leute kamen zu Wort. Menschen, die Kinder wollten, Menschen, die Kinder kauften, Menschen, die Kinder abgaben. Leihmütter und Kinder aus dem Ausland. Und zwei Ehepaare, die seit langem ein Baby adoptieren wollten. Aus diesen und jenen Gründen hatte es bisher nicht geklappt. Sie wurden interviewt und ihre Häuser gefilmt. Sie erzählten ihre Geschichten und ihr Leben. Beide Ehepaare waren sehr sympathisch, beiden hätte ich ein Kind gewünscht. Aber ich entschied mich für das zweite Ehepaar. Die Frau war nur wenig älter als ich und hatte ganz blonde Haare. Auf die Frage, ob sie noch immer weiterkämpfen wollte, obwohl ihr Mann fast schon aus dem behördlich geregelten Adoptionsalter heraus war, antwortete sie mit einem schlichten Ja. Und dieses Ja war es, das mich berührte.
    Sie sah so nett aus, so herzlich und so fröhlich. Eine richtige Mami eben. Ich überlegte nicht mehr lange und rief beim Sender an. Ich erklärte, dass ich genau mit diesem Ehepaar sprechen wolle, und hinterließ meine Nummer. Am selben Abend noch meldete sich der Mann. Misstrauisch natürlich, denn nach der Ausstrahlung der Sendung hatten sie viele schlimme Sachen erlebt. Ich gab ihm Zeit, sich beim Jugendamt darüber zu erkundigen, dass ich diesen Sohn wirklich hatte. Ich erklärte ihm, dass mein Steffen schon fast fünf Jahre alt wäre, also kein Baby mehr, wie sie es sich wünschten. Er freute sich wie wahnsinnig und versprach, sich direkt am nächsten Morgen wieder zu melden.
    Natürlich meldete sich auch das Amt bei mir. Was mir einfiele, so ginge es nicht. Wenn ich den Jungen zur Adoption freigeben wolle, müssten wir das erst besprechen und dann würden sie die geeigneten Eltern suchen. Ich lachte sie aus. Dieses Ehepaar stand auf der Liste der bereits überprüften Eltern. Ich machte deutlich, dass ich, wenn diese Menschen meinen Steffen nicht bekommen würden, einer Adoption niemals zustimmen würde. Schon gar nicht so einer anonymen Sache, wie ich es bei seiner Geburt erlebt hatte. Sie gaben nach, und ich bat das Ehepaar zu Kaffee und Kuchen in meine Wohnung.
    Sie waren fantastisch. Ich verheimlichte nicht, dass Steffen aus einer ziemlich zerrütteten Beziehung stammte und es unschöne Vorfälle gegeben hatte. Ich versuchte ihnen zu erklären, dass

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