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Das erste Schwert

Titel: Das erste Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kashina
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im ersten Tageslicht, reisen wir ab.

Ein Gast zu später Stunde
    Herzog Evan Dorn fröstelte und zog den Umhang fester um seine Schultern. Die schwarz gekleidete Gestalt von Bruder Pavlos,
     der mit einer Laterne in der knochigen Hand vor ihm herging, warf groteske Schatten auf die steinernen Mauern. Die Burg war
     für ihre finsteren Steinkorridore berühmt.
    Dorn’s Trutz
lautete ihr amtlicher Name. Diejenigen jedoch, die hier wohnten, nannten sie
Steinhaufen
. Allein schon die Dicke der Mauern ließ Burg Hochdorn, fern in der Heimat, als luftig erscheinen. Nicht zum ersten Mal fragte
     sich Evan, was seinen großen Vorfahren König Elvin bewogen haben mochte, diese schreckliche Festung zu bauen und auch noch
     zum Wohnsitz zu wählen.
    Vielleicht war es derselbe Wahn, der den alten König dazu getrieben hatte, ein Schwert durch das Herz seines Sohnes zu stoßen.
     Eine schauerliche Tradition war damit begründet |37| worden, die letzten Endes zum Zerfall des Shandorianischen Reiches und einem hundertjährigen Krieg geführt hatte.
    Wie stets ließ der Gedanke an das Ritual Evans eigene Narbe schmerzen. Er rieb über die Stelle an seiner linken Brust – dort
     war ihm der Stahl ins Fleisch gefahren und hatte sich seinen Weg gebahnt, bis er am Rücken wieder zum Vorschein kam. ›Die
     Königsherzöge haben kein Herz‹, tuschelten die Leute. Nach allem, was Evan wusste, mochten sie damit auch recht haben. Wenn
     er an die königliche Zusammenkunft dachte, die morgen stattfinden sollte, vermochte er nicht einen Teilnehmer zu benennen,
     dessen Taten gezeigt hätten, dass er ein menschliches Herz in der Brust hatte.
    Bruder Pavlos erreichte die Korridorbiegung und wandte sich zu ihm um. »Wünscht Ihr, dass ich Eure Erhabenheit morgen zum
     Konzil begleite?«, erkundigte er sich mit monotoner Stimme.
    »Das wird nicht nötig sein, Bruder«, sagte Evan. »Hier in der Burg dürften Eure Dienste weit wertvoller sein.«
    Bruder Pavlos verneigte sich im Gehen. Für einen Lidschlag nur züngelte das ruhelose Laternenlicht über seine scharf geschnittene,
     spitze Nase, vorstehenden Wangenknochen und die in tiefen Höhlen versteckten Schattenaugen – im nächsten Moment schon verzehrte
     das Dunkel unter der Kapuze die vogelgleichen Gesichtszüge wieder. Die Heiligen Brüder bezogen ein ganz spezielles Selbstgefühl
     daraus, ihr Gesicht verborgen zu halten. Evan kannte nach all diesen Jahren nicht einmal die Augenfarbe dieses Mannes.
    Bruder Pavlos blieb vor einer wuchtigen Tür stehen. Die Ölflamme der Laterne zitterte und wäre im kalten Luftzug fast erloschen,
     hätte sich die Hand des Mönchs nicht im letzten Moment schützend um sie gewölbt. »Euer Gemach, Eure Erhabenheit«, sagte er.
    »Danke, Bruder.« Evan suchte in den Tiefen seiner Tasche nach dem Schlüssel. »Ich brauche Euch nicht mehr.«
    |38| Es gehörte zur altehrwürdigen Tradition an diesem Ort, sämtliche Türen abzuschließen, als sei der alte Steinhaufen nicht ohnedies
     abweisend genug. Ebenso war es üblich, den eigenen Schlüssel höchstpersönlich am Leibe zu tragen – aus Angst, ein illoyaler
     Diener könnte einem Meuchelmörder Einlass gewähren.
    »Schlaft gut, Eure Erhabenheit«, sagte Bruder Pavlos zum Abschied.
    Evan drückte die Tür auf und verzog einmal mehr das Gesicht, als er das Quietschen hörte und die kalte Luft spürte, die ihm
     entgegenschlug.
    »Shal Addims Segen sei mit Euch, Eure Erhabenheit«, leierte Pavlos.
    »Gute Nacht, Bruder«, erwiderte Evan.
    Der Priester verbeugte sich und schwebte davon. Evan blickte ihm hinterher, bis er um die nächste Biegung verschwand, ehe
     er in den eisigen Schlund seines königlichen Schlafgemachs eintrat.
    Erst nachdem der Herzog auch die letzte Kerze an der Wand des achteckigen Raumes entzündet hatte, gewahrte er die Gestalt,
     die im Armsessel vor dem Kamin saß.
    So geräuschlos wie möglich wich Evan zur Seite, seine Hand zuckte unter den Mantel zum Dolch. Verzweifelt sah er in die Runde
     – wo sollte er die Laterne abstellen, die ihn behinderte?
    »Beunruhigt Euch nicht, Eure Erhabenheit«, sagte eine ruhige Stimme. »Wäre ich gekommen, um Euch zu töten, so hätte ich das
     längst getan.«
    Wie zur Hölle ist er hier hereingelangt?,
überlegte Evan und brachte einen weiteren Sessel zwischen sich und die sitzende Gestalt.
    Der obere Teil der hohen Sessellehne verlor sich in Schatten. Nicht das Geringste vermochte er vom Gesicht des Besuchers zu
     erkennen. Nur ein

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