Das erste Schwert
zufällig wirkte.
»Und was wollt Ihr von mir?«, fragte er und umfasste den Dolchgriff unter dem Mantel fester. Er wünschte, er hätte stattdessen
sein Schwert zur Hand. Das Aussehen des Bewahrers, die würdevolle Haltung eines trainierten Schwertkämpfers – nein, der Herzog
zweifelte nicht daran, dass dieser Mann ein gefährlicher Gegner war, falls es zum Kampf kam.
»Ich bin mit einer Botschaft zu Euch gekommen, Eure Erhabenheit«, erwiderte der Bewahrer. »Euren Anspruch auf den Thron betreffend.«
Evan holte Luft. »Meinen Anspruch, so, so«, murmelte er und versuchte, seiner Stimme einen gelassenen Klang zu geben. »Das
verspricht, interessant zu werden.«
Im Gesicht des Bewahrers regte sich nichts. »Ihr müsst Eurem Geburtsrecht morgen nicht abschwören«, sagte er eindringlich.
»Was auch immer Ihr tut – lasst es nicht so aussehen, als hättet Ihr den Kampf um die Erbfolge aufgegeben. Die Mutter Bewahrerin
selbst wird vor dem Konzil für Euch eintreten. Ihr müsst –«
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»Müsst?«
Evans Augen verengten sich. »Es springt ins Auge, Magister, dass Ihr ganz offenbar ein bisschen eingerostet seid, was höfische
Etikette anbetrifft.«
Der Bewahrer biss die Zähne aufeinander. Sein Blick wurde starr. »Vergebt mir,
Eure Erhabenheit
«, sagte er langsam. »Was ich sagen wollte, war nur, dass es von entscheidender Wichtigkeit für Euch ist, die Hilfe der Mutter
Bewahrerin anzunehmen.«
Evan holte tief Luft. Stand man einem gefährlichen Widersacher gegenüber, so war es wichtig, Ruhe zu bewahren. »Eure Mutter
Bewahrerin«, versetzte er, »muss wissen, dass das Haus Dorn keinen Erben hat. Mein Anspruch, sollte ich mich entscheiden,
einen solchen vorzubringen, wäre also sehr kurzlebig.«
»Wir sind uns der Umstände bewusst, Eure Erhabenheit«, versicherte der Bewahrer. »Aber trotz des Unglücks, dem alle Eure Familienangehörigen
zum Opfer fielen, ist noch nicht alles verloren.«
Evan hob den Blick und sah dem Magister ins Auge. »Was genau meint Ihr damit?«, fragte er gedehnt.
»Ich weise mit allem gebotenen Takt auf ein Ereignis hin, das nun ... oh, wohl an die siebzehn Jahre zurückliegt.«
Die Pause, die diesen Worten folgte, schien ein Leben lang anzudauern. »Und?«, sagte Evan schließlich heiser. »Wollt Ihr mir
bitte verraten, Magister Egey Bashi, oder wie auch immer Ihr heißt, was die Bewahrer das angeht?«
Eine weitere Pause folgte, bevor der Bewahrer sprach: »Es ist unsere erklärte Pflicht, die ordnungsgemäße königliche Erbfolge
zu überwachen und sicherzustellen. Wir haben allen Grund zu der Annahme, dass der Anspruch Eures Hauses auf den Thron gültig
ist. Belassen wir es dabei, Eure Erhabenheit – einverstanden?«
Evan zwang ein Lächeln auf seine Züge, als er abermals den Blick des Magisters suchte. »Mein ganzes bisheriges Leben |43| durfte ich ohne Belästigung durch Euren Orden verbringen«, sagte er. »Genau so möchte ich darin fortfahren, bis unser Allgebieter
Shal Addim meine Zeit für gekommen hält. Und nun wünsche ich, allein gelassen zu werden. Da Ihr mir so glaubhaft demonstriert
habt, dass ein Bewahrer sich in diese Burg hereinzustehlen vermag, sehe ich keine Schwierigkeiten für Euch, Magister, nun
auf demselben Wege zu verschwinden.«
Der Bewahrer stand regungslos; sein Gesicht irrlichterte unter einem Aufruhr von Gefühlen. »Vergebt mir, Eure Erhabenheit«,
wandte er ein, »doch da ich die Begegnung mit Euch bewusst in diesem privaten Rahmen gesucht habe, um jedes Risiko auszuschließen,
dass wir belauscht werden, will ich geradeheraus zu Euch sprechen. Wenn Ihr in die Tat umsetzt, was Ihr offenbar im Sinn habt,
so werdet Ihr den Rest Eures Lebens als Narr verbringen, der sich weigerte, zuzuhören – und allein deshalb etwas verloren
hat, das kostbar genug war, um sogar dafür zu sterben.«
Ungläubig sah Evan den Bewahrer an. Hatte er tatsächlich
Narr
gesagt? Zu einem königlichen Herzog?
Ganz ruhig!
, ermahnte er sich selbst. Dieser Mann versuchte nur, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen. Er fasste den Magister geradewegs
ins Auge und zwang sich, Haltung zu wahren. »Wenn Ihr auf der Suche nach einem schmerzvollen Tod hierher gekommen seid«, presste
er hervor, »so wird meinem Hauspriester Bruder Pavlos zweifelsfrei einiges für Euch einfallen. Er ist ausgebildeter Inquisitor,
müsst Ihr wissen. Wie auch immer – ich schlage vor, wir wünschen uns nun
gute Nacht.
Morgen erwartet mich
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