Das erste Schwert
ein geschäftiger Tag.«
Der Bewahrer stand für einen Moment wie vom Blitz getroffen. Seine Augen loderten. »Gestattet, dass ich es noch einmal versuche,
Eure Erhabenheit«, drängte er. »Hier hereinzukommen war nicht so einfach, wie Ihr glauben mögt, |44| und es würde mir nicht gefallen, meine Mühe zur Gänze verschwendet zu sehen.«
»Euer Problem, da bin ich mir sicher«, verwarf es Evan im Plauderton und tat einen Schritt seitwärts, zur Tür hin.
»Was auch immer Ihr morgen vor dem Konzil zu tun beabsichtigt«, fuhr der Bewahrer fort und tat so, als habe er die Bewegung
nicht wahrgenommen, »wartet, bis Ihr gehört habt, was die Mutter Bewahrerin zu sagen hat.
Schwört Eurem Anspruch nicht ab
, bis Ihr mit ihr gesprochen habt. Glaubt mir, dies liegt mehr in Eurem Interesse als in irgendjemandes sonst.«
»Wie rücksichtsvoll von Euch!«, höhnte Evan. »All diese Mühen auf Euch zu nehmen, um meine Interessen zu wahren.«
Der Bewahrer schüttelte leicht den Kopf. »Keine Mühen, Eure Erhabenheit. Ich lebe nur, um zu dienen.«
Sie starrten einander in die Augen, und keiner senkte den Blick. Evan gewahrte, dass seine rechte Hand unter dem Mantel den
Dolch nunmehr so fest umklammerte, dass die Finger beinahe gefühllos waren. Er zwang sich, den Griff zu lockern.
»Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass Euer Erbe lebt. Falls dem so ist, und falls er das Schwert überlebt, gibt es
keinen begründeteren Anspruch als jenen des Hauses Dorn. Ihr werdet das Königreich regieren, Herzog.«
»Oh, ich verstehe.« Evan schwieg. Plötzlich wusste er nicht mehr, wie er das Ganze einschätzen sollte. Ein jeder wusste, dass
sein einziger lebend geborener Sohn vor siebzehn Jahren hatte getötet werden müssen.
Ghaz Alim,
durchraste es den Herzog.
Die Verfluchte Gabe.
»Ich nehme an«, murmelte er in düstere Erinnerungen versunken, »dass Ihr einen armen Jungen präsentieren werdet, der mir ähnlich
sieht – und dann soll ich ihm wohl mit dramatischer Geste ein Schwert durch’s Herz stoßen. Hab |45| ich recht? Was will Euer Orden damit erreichen? Wollt Ihr die Sensationsgier des Pöbels kitzeln?«
Der Blick des Bewahrers wurde unstet. »Er ist noch nicht in unserer Obhut«, gestand er ein.
»Oh, ich verstehe!«, rief der Herzog ein weiteres Mal aus; seine Stimme wurde sanft, beinahe liebenswürdig. »Er ist noch nicht
einmal hier?«
»Nein«, antwortete der Bewahrer. Zum ersten Mal seit Beginn dieses Gesprächs zeigte sich Unsicherheit auf seinen Zügen. »Wäre
er schon hier«, fuhr er fort, »glaubt Ihr wirklich, ich würde dann meine Zeit hier verschwenden?«
»Eine exzellente Frage«, stimmte Evan ihm zu.
Der Bewahrer hielt seinem Blick stand. »Wir brauchen Euch, um Euren Erben anzuerkennen, wenn die Zeit gekommen ist«, sagte
er.
»Nun«, sagte Evan und zwang seinen Zorn nieder. »Da wäre noch ein weiteres Problem, Magister. Da Ihr so gut informiert seid,
wisst Ihr sicher auch, dass das erste Schwert nach wie vor verschwunden ist. Und keine andere Klinge würde –«
»Wir sind absolut sicher, das Schwert rechtzeitig für die Zeremonie finden zu können.«
Evan schüttelte den Kopf. »Zeit habt Ihr am allerwenigsten, Magister. Es steht äußerst schlecht um die Gesundheit des Königs,
wurde mir berichtet.«
»Belastet Euch nicht mit Verfahrensdetails, Eure Erhabenheit. Ihr wisst doch genauso wie ich, dass das erste Schwert nichts
weiter als ein Symbol ist!«
»Ein Symbol«, wiederholte Evan und spürte, wie seine Narbe grundlos zu pochen begann. »Nett zu hören, dass Ihr’s auf diese
Art auslegt, Magister.«
»Bleiben wir beim Thema, Eure Erhabenheit«, sagte der Bewahrer. »Wenn Ihr morgen auf Euren Anspruch verzichtet, würde das
alles nur komplizieren.«
|46| Evan zog den Dolch so weit unter dem Mantel hervor, dass der Magister den Griff sehen konnte. Mit Befriedigung nahm er den
unbehaglichen Ausdruck im Gesicht des Mannes zur Kenntnis.
»Habt Ihr’s schon beim Herzog von Ellitand versucht?«, erkundigte er sich. »Der Seengebieter Daemur würde vor nichts zurückschrecken,
um sein Haus an die Macht zu bringen. Er spricht sogar schon davon, seine
Tochter
mit dem Schwert zu prüfen. Vorausgesetzt, es taucht je wieder auf.«
»Wohl wahr«, gab der Bewahrer zu. »Der Herzog von Ellitand ist ehrgeizig – er hätte mir aufmerksamer zugehört als Eure Erhabenheit.
Aber was auch immer nun geschehen mag – Ihr seid derjenige, mit dem wir uns
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