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Das erste Schwert

Titel: Das erste Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kashina
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Teekanne,
     aus deren schnabelförmiger Öffnung Dampf emporstieg.
    »Meine Tochter schläft bereits«, sagte Dagmara und nickte zu einem Vorhang an der gegenüberliegenden Seite des Raumes hin,
     »deshalb, Walder-Junge, bitte ich dich, leise zu sprechen.«
    Sie ließ sich auf einem Sitzkissen beim Tisch nieder und bedeutete ihm, es ihr gleichzutun. So saßen sie sich eine Weile schweigend
     gegenüber. Der Blick ihrer hellen Bernsteinaugen flammte intensiv wie nie, jedoch nicht unangenehm.
    »Schon bei unserer ersten Begegnung hast du mich neugierig gemacht, jüngerer Sohn von Kyth-dem-Schmied«, sagte sie sanft.
    »Skip. Ich heiße Skip«, erinnerte er sie geradeheraus.
    Sie nickte lächelnd, schenkte Tee ein und schob eine der beiden Tassen zu ihm herüber. Skip trank einen kleinen Schluck. Der
     Tee war ungewöhnlich dunkel und schmeckte fast bitter. Zu Skips Überraschung wirkte er im Nu äußerst belebend.
    Dagmaras Bernsteinaugen drangen ihm bis auf den Grund der Seele, aber noch immer stellte sie ihm keine Fragen. Stattdessen
     begann sie zu sprechen.
    »Ich habe dich hierher mitgenommen, weil ich dir von den Cha’ori erzählen will«, sagte sie. »Ich dachte, das könnte dich interessieren.«
    |347| Er schaute sie fragend an.
    Sie tat, als bemerke sie es nicht. »Es gab eine Zeit«, fuhr sie fort, »da lebten wir in Frieden mit den Waldern. Es waren
     jene Tage, in denen Megor und andere aus unserem Stamm ohne Angst zur Schmiede deines Vaters reisen und unsere Pferde beschlagen
     lassen konnten. Die Tage vor unserer Ächtung durch eure Kirche.«
    Sie legte eine Pause ein und nippte an ihrem Tee. Skip geduldete sich.
    »Und natürlich gibt es gewichtige Gründe, weshalb uns diese Priesterschaft bis heute als
gottloses Volk
brandmarkt«, gestand sie ein.
    Skip meinte, den Nachtwind zu hören, wie er draußen lauter tuschelte und wisperte, nur ganz kurz.
    »Wir weigern uns, unsere Kinder der Probe zu unterwerfen. Allein der Gedanke daran, dass all jene getötet werden, die nicht
     bestehen, ist uns unerträglich. Unerträglicher noch als jene Ungeheuerlichkeit, die unter dem Deckmantel der sogenannten Sittlichkeits-
     und Fortpflanzungsgesetze stattfindet.« Skips Blick tauchte ein in die hell schimmernden Spiegel ihrer Augen, tiefer und tiefer.
     »Wir glauben, dass der Schöpfer, gleich welchen Namen er auch tragen mag, allen Neugeborenen gleichermaßen zugetan ist, herkömmlichmenschlichen
und
jenen mit veränderten Seins-Merkmalen. Eure Priester aber kontrollieren mit ihren Gesetzen nicht nur, wer leben darf oder
     sterben muss, nein, sie manipulieren damit auch die Gene eines ganzen Volkes – heimlich, denn den Begriff
Gene
haben sie seit Jahrzehnten schon ausgetilgt im Lande Tallan Dar und darüber hinaus. Bei euch muss sterben, wer anders ist,
     sprich: andere Erbanlagen und somit auch Fähigkeiten hat als jene, die als normal gelten. Wir hingegen lassen es zu, dass
     sich in unseren Nachkommen all jene Gene und Eigenschaften anhäufen, die eure Priester auszumerzen versuchen. Und genau
das
macht uns in den Augen |348| eurer Kirche gefährlich. Oder sollte ich sagen: in den Augen eures Allheiligen Vaters?«
    Skip versuchte zu verstehen, was sie gesagt hatte. Nie war ihm in den Sinn gekommen, zu hinterfragen, warum die Priester so
     rigoros überwachten, wer wen heiratete oder warum Neugeborene, die an der Probe scheiterten, getötet wurden. Es war, wie es
     war. Ihr Tun war Wille des Allschöpfers Shal Addim und somit Gesetz. Tief im Herzen trug ein jeder die Gewissheit, dass aus
     jenen Kindern, sollte ihnen heranzuwachsen gestattet werden, grässliche Monstrositäten wurden, Kreaturen des Teufels und weit
     schlimmer noch als Gorg’tals. Kinder, die an der Probe scheiterten, stellten eine Gefahr dar. Der Gedanke, dass die Cha’ori-Kinder
     aufwuchsen, ohne jemals auf die Ghaz Alim geprüft worden zu sein, trieb ihm eine furchtbare Angst in die Adern, bleiern und
     verderbend wie Leichengift. Und diese befremdlichen Worte, die sie gebrauchte.
Gene. Erbanlagen.
Sie hallten in ihm nach, nebelhaft vertraut, als habe er sie in einem anderen Leben schon einmal gehört. Trotzdem – er war
     sich nicht sicher, was sie zu bedeuten hatten.
    Er räusperte sich. »Ich   ... ich höre deine Worte, aber ich verstehe sie nicht«, gab er hilflos zu.
    Sie lächelte. »Verglichen mit dem Rest von Tallan Dar waren die Walder immer gemäßigt«, sagte sie. »Ab und zu kam es sogar
     vor, dass in euren Wirrholz- und

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