Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das erste Schwert

Titel: Das erste Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kashina
Vom Netzwerk:
anlangten,
     die zum Gasthof hinüberführte. Keinen Augenblick zu spät! Priester schritten in langer Prozession zum Missionsgebäude hinauf.
     In ihrem Gefolge eskortierte eine Gruppe Heiliger Wachen einen zweirädrigen Lastkarren.
    Auf den ersten Blick sah es aus, als sei der Karren leer. Dann bemerkte Skip die reglos darauf ausgestreckte Gestalt, die
     in eine schwarze Priesterrobe gewickelt war.
    Beklommen nahm er die düstere Szenerie in sich auf: Der Prior, der vorneweg ritt; vier Priester, die ihm dichtauf folgten.
     Das langsame Schlagen der zeremoniellen Trommel. Die flachen, rotglühenden Kohlepfannen, die an langen Ketten vom Hals der
     Reitechsen baumelten. Der süße Duft von Weihrauch, der sich gemächlich über der stillen Menge auf den Schwimmbrücken ausbreitete.
    |57| Der Prior hob die Hand. Die Echsen-Ungeheuer schnaubten; mit einem letzten Quietschen kamen die Räder des Karrens zum Stillstand
     – und mit ihnen die ganze Prozession.
    »Meine Kinder«, sagte der Prior mit einer Stimme, die weithin über das Wasser hallte. »Mit einer Traurigkeit, die mir wie
     ein Stachel im Herzen sitzt, muss ich euch sagen: Unser Allgebieter Shal Addim hat seinen Diener, den Heiligen Bruder Nikolaos
     aus Eichenhain, zu sich in den Himmel berufen, auf dass er ihm dort zu Diensten sei. Die Segnungen unseres Allgebieters seien
     mit uns allen.«
    Bruder Nikolaos!
    Auf ein Zeichen des Priors hin setzte die Prozession ihren schleppenden Aufstieg zum Missionsgebäude fort.
    Bruder Nikolaos ist tot.
    Der alte Priester war da gewesen, so lange Skip denken konnte; er hatte die Kinder von Eichenhain unterrichtet, mit ihnen
     gespielt – und überhaupt jedem zur Seite gestanden. Es war eine unerträgliche Vorstellung, dass er bei ihrer Rückkehr einfach
     nicht mehr da sein würde. Dass diese reglose Gestalt auf dem Karren irgend etwas zu tun hatte mit jenem gütigen alten Mann,
     dessen helle Augen stets ein Lächeln in sich getragen hatten.
    Ein eisiger Schauder kribbelte über Skips Rückgrat. Sie hatten versagt! Es war ihnen nicht gelungen, die Botschaft zu überbringen.
     Sie hatten den letzten Willen eines Sterbenden nicht erfüllt. Alles Übel, das der Bote zu vereiteln aufgebrochen war, würde
     nun über sie kommen.
    Konnte der Tod von Bruder Nikolaos ein Zufall sein?
    Es kam ihm nicht sehr wahrscheinlich vor. Es war ihre Schuld, da sie nicht rechtzeitig den Rückweg angetreten hatten. Aber
     hätten sie denn irgend etwas tun können, wenn sie dort gewesen wären?
    Wir müssen das Kind aufspüren, von dem der sterbende Edelmann
|58|
gesprochen hat
, dachte Skip. Doch wo sollten sie mit ihrer Suche beginnen, da sie doch keine Ahnung hatten, wen er gemeint hatte?
     
    Schon von Weitem, als die ersten Dächer von Eichenhain noch im Dunst lagen, fiel ihnen der Brandgestank auf. Er wehte von
     dort heran, wo die Schmiede war, unterschied sich aber deutlich vom üblichen Geruch des Feuers in der Esse. Je näher sie kamen,
     desto ausgeprägter mischte sich der Geruch brennender Kleider und versengten Fleisches darin. Nicht einer von ihnen glaubte,
     dass es sich dabei um Bratenfleisch handelte. Diesem Odem, und selbst
wie
der weiße Qualm zwischen den Eichen emporstieg, haftete etwas Krankmachendes an.
    Skip ließ Burkas Zügel fallen und stieß Erle an.
    »Bleib beim Wagen!«, riefen sie Ellah zu und stürmten los, zur letzten Straßenbiegung hin, die es noch zu bewältigen hieß.
    Skip brüllte: »Vater!«
    Wenn er sich später das Ganze ins Gedächtnis zurückrief, dann verstand er nicht mehr, wie seine Sinne alles zugleich hatten
     aufnehmen können. Und doch war es so. Er sah die Ruinen an jener Stelle, an der die Schmiede hätte stehen müssen; ihr Haus,
     ein wenig abseits, die zerborstenen Fenster, die klaffende Türöffnung; all ihre Habseligkeiten teils noch schwelend auf einem
     Haufen mitten im Hof.
    Er rief wieder – und bekam immer noch keine Antwort.
    Vorsichtig näherten sie sich dem Haus und spähten ins Innere hinein.
    Auch hier schien ein wütender Sturm am Werk gewesen zu sein, nichts lag mehr an Ort und Stelle. Zertrümmerte Einrichtungsgegenstände
     bildeten ein wüstes Durcheinander mit zerfetzten Kleidern und aus der Wand gerissenen Bohlen. Windböen schnaubten durch gähnende
     Fenster- und Türöffnungen |59| und wirbelten Ascheflocken auf. Betäubender Brandgeruch lastete über allem – selbst der Wind, der sich so selbstbewusst als
     Besitzer dieses Ortes gab, war davon befallen.

Weitere Kostenlose Bücher