Das erste Schwert
schätzte er die Entfernung zur Tür.
Zu weit.
Zumindest einen Wächter hätte er in die unmittelbare Nähe seines Schlafgemachs beordern müssen. Ein grober Fehler. Doch kam
diese Erkenntnis viel zu spät. Er hörte sich keuchend atmen.
»Gebt auf, Sturmgebieter!«, stieß sein Gegenüber kaum weniger laut keuchend hervor. Sein Komplize fand seine Waffe und richtete
sich unter Schmerzen auf. Evan genoss es, den Mann nach wie vor stöhnen zu hören.
Er tat einen weiteren Schritt zurück; er stieß einen der großen, wuchtigen Sessel um.
Welch lächerliche Barrikade!
Also gestand er sich zähnefletschend ein, dass er nicht mehr weiter wusste. Doch gab es nichts, das es mit alten, schweren
Möbeln aufnahm, wenn es galt, Zeit zu schinden.
Die beiden Männer drangen langsam auf ihn ein. Umrundeten den niederen Tisch im vorderen Teil der Kammer. Evan bewegte sich,
rückwärtsgehend, weiter, bis er seine Bettstatt im Rücken hatte. Er schob sich daran entlang, tiefer in den Raum hinein. Entfernte
sich von der Tür.
Was konnte er tun, wie sich retten?
»Irgendwelche letzten Worte, Herzog?«, fragte jener, der ihm am nächsten gekommen war.
Evan ignorierte ihn. Es war ihm zum Prinzip geworden, niemals zu reden während eines Kampfes. Es störte nur die Konzentration
und diente so dem Gegner. Stattdessen schleuderte er zwei weitere Sessel zu Boden und setzte seinen |491| Weg fort. Starrte hierhin und dorthin und meinte, das Feuerlodern bereits für spritzendes, strömendes Blut halten zu müssen.
Er brachte sein viel zu lautes Atmen unter Kontrolle; er wurde innerlich ganz frostkalt.
Die Tür war unerreichbar. Die Gestalten der gedungenen Mörder versperrten ihm den Weg mit todesverachtender Entschlossenheit.
Womit nur noch eine andere Möglichkeit verblieben war, diesen Raum zu verlassen. Jedenfalls lebendig: das Fenster.
Evan riskierte einen schnellen Blick. Es war eine stürmische Nacht. Der Regen peitschte mit bösartiger Wucht auf die Wälle
und Dächer der Burg ein, im Burghof ächzten die Bäume wie unter Todesqualen im Sturmwind. Es schien auf’s Höchste unwahrscheinlich,
dass in einer solchen Nacht einer der Diener dort unten im Freien zugange war oder irgend jemand Hilferufe aus einem Fenster
im zweiten Stock des Gemäuers vernehmen würde.
Das Fußende der Bettstatt war erreicht. Der am weitesten vorgedrungene Mann, jener mit dem Krummsäbel, hatte allzu sehr auf
das zu erlegende Wild geachtet und stolperte fluchend über einen der am Boden liegenden Sessel.
»Ihr müsst keine Angst haben, Herzog«, keuchte er. »Wir versprechen Euch einen schnellen Tod.«
Dorn verzog den Mund. Er warf einen weiteren abschätzenden Blick zum Fenster hin. Einer der beiden Fensterflügel war nur nachlässig
verriegelt und klapperte mit den Windstößen unablässig gegen den Rahmen. Wenn es ihm gelang, diesen Riegel nach oben zu stoßen
und das Fenster aufzureißen, dann war die Öffnung groß genug, dass sich ein Mann hindurchzuzwängen vermochte.
Schlimmstenfalls allerdings drohte ihm ein Sturz aus großer Höhe.
Der Sims, nicht weit unter dem Fenster, denk an den Sims
, erinnerte er sich energisch, um sein inneres Gleichgewicht zu wahren. Jener Sims, der so ärgerlich die Sicht auf |492| Burgtor wie Stallungen versperrte – er hatte ihn nicht wirklich vergessen.
Wenn er den Sims erreichte, wenn er in seinem Bemühen,
dort hinab
zu gelangen, nicht verletzt wurde – dann konnte er sich, eng gegen die von Wind und Wetter zernagte Wand gepresst, darauf
entlangschieben und schließlich auf’s Dach der Stallungen hinabspringen; sich darin ein Reittier aneignen und wie der Teufel
von diesem Ort verschwinden. Zurück nach Hochdorn mit seinen weiten, lichten Räumen und den frischen, salzigen Winden, die
nach Freiheit schmeckten.
Ein Dolch zischte an seinem Ohr vorbei und fuhr mit einem dumpfen Knirschen tief ins Holz des Fensterrahmens. Evan fluchte
lautlos und rief sich zur Ordnung:
Konzentrier’ dich!
Der erste Angreifer hatte die Bettstatt fast erreicht und befand sich somit in seinem Rücken. Triumphierend funkelten seine
Augen im Feuerschein. Wie verzweifelt schaute Evan sich um. Keine Möbelstücke mehr, nichts, was er den beiden gedungenen Mördern
noch hätte entgegenschleudern können.
Noch zwei Schritte, allerhöchstens, und sie mochten sich auf ihn stürzen. Und dann musste er gegen beide zugleich kämpfen.
Und sie waren um so vieles jünger als er. Freilich –
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