Das erste Schwert
war, die Stallungen zu bewachen, während seine Kameraden vor einem
warmen Kaminfeuer saßen und Karten spielten. Evan bewunderte des Mannes Gemütsruhe. So miserabel er in vornehmer Gesellschaft
zu parlieren wusste – als Waffenbruder war er eindeutig von unschätzbarem Wert.
»Wo gehst du hin, Mann?« gellte die Stimme abermals, ungeduldiger jetzt.
»Wer will das wissen?«, schnauzte Og hochmütig.
Vom Sims droben antwortete ihm lautes Gefluche. Dann meldete sich eine andere, äußerst nervöse Stimme zu Wort: »Kamerad! Nichts
für ungut! Ist dir dort unten jemand zu Augen gekommen? Oder irgend etwas Ungewöhnliches aufgefallen?«
Og lachte laut auf. »In diesem Regenguss? Du reißt wohl |498| Possen,
Kamerad
? Und überhaupt – was habt ihr beiden da oben zu suchen?«
Nach einigen gemurmelten Flüchen erklang wiederum die erste Stimme: »Er muss einen anderen Weg in die Tiefe gefunden haben!
Verdammt, dieser Sims ist lang! Er kann mittlerweile sonstwo sein. Steh’ auf, wir müssen weiter!«
Sadeel?
»Und wenn du mich totschlägst! Verdammt, ich kann nicht!«, beharrte der andere – Jareth.
»Ghaz Kadan über dich! Stirb’, wenn dir das lieber ist! Dann geh’ ich eben alleine weiter!«
Mit lautem Quietschen schwang das Tor des Stallhofes auf. Evan stieß die Luft aus, zog sich so leise wie irgend möglich in
das stuhlähnliche Sattelgestell und beobachtete Og Tarn, der nun seinerseits in aller Gemütlichkeit aufsaß. Dann ruckte er
mit dem Unterkiefer zum Hof hin, der im Finstern kaum zu sehen war.
Og Tarn nickte, und Evan hieb seine Fersen so hart er nur konnte in den geschuppten Leib der Echse. Das Ungetüm tat einen
wilden Satz nach vorn, Evans Kopf wurde mit einem schmerzhaften Ruck in den Nacken gerissen, doch nur kurz, dann hatte er
sich daran gewöhnt und genoss es, mit dem Wind und dem Regen um die Wette zu laufen. Og Tarns Echse holte auf und gesellte
sich der seinen bei – und schon jagten sie Seite an Seite unter dem Torbogen hindurch und auf einer schlammigen Straße voran.
Der Regen besann sich und wütete mit neuer Wucht – und verwischte ihre Spuren.
|499| Die Strömung des Flusses
Skip hob das Schwert und versuchte den nächsten Hieb vorauszuahnen. Karas Gesicht, ihm gegenüber, war entspannt; kein noch
so winziges Muskelzucken verriet, welche Taktik sie sich für diesen Kampf zurechtgelegt hatte. Da sah er ihre Klinge auch
schon von links auf sich zustoßen, wich in einer Drehung nach rechts aus und parierte. Einmal mehr zischte sein Schwert harmlos
durch die Luft – und er bekam kalten Stahl zu kosten. Ganz kurz nur, ein winziges Pieksen am Hals, und schon wurde die blitzende
Klinge wieder zurückgezogen.
»Konzentrier’ dich«, ermahnte Kara ihn.
Er warf einen Blick zur Seite hin, wo jenseits der niederen Reling des Oberdecks die eilenden Wasser des Elligar zu sehen
waren. Auch ohne das beständige Schwanken des Lastkahns wäre es ihm schwergefallen, alle Sinne auf den Schwertkampf ausgerichtet
zu halten. Zu viel Wasser ringsumher. Im zurückliegenden halben Mondlauf hatte er gelernt, das Rauschen, Wogen, Fließen des
großen Stromes auszusperren und mit einer gewissen Distanz wahrzunehmen. Er kam mit der ständigen Gegenwart des Wassers zurecht
– bis zu einem gewissen Punkt. Er schreckte morgens nicht mehr mit dem Gefühl, unterzugehen, aus dem Schlaf, und seine Alpträume
hatten nicht mehr ständig mit Wasser zu tun. Auch ging er nicht mehr mit wackeligen Beinen umher, niedergedrückt von einer
unerklärlichen Angst. Aber sich in dieser ständigen Nähe des Wassers zu konzentrieren – das fiel ihm nach wie vor schwer.
Er befeuchtete seine Lippen und wich vor der seine Nasenspitze umtanzenden Schwertspitze zurück. Wenigstens in der Verteidigung
gedachte er sein prächtiges Schwert erfolgreich |500| zu führen! Er parierte den Angriff von links, gleich darauf jenen von rechts. Es fühlte sich gut an. Das Geklirr von Stahl
auf Stahl machte ihn glauben, tatsächlich zu
kämpfen
. In einem blitzenden Bogen fuhr Karas Klinge nach unten – und hinterließ eine Lücke in ihrer Deckung.
Ja!
Skip griff an, bediente sich
ihrer
Taktik – wich ihrem von unten nach oben geführten Stoß aus. Parierte. Fintete nach links. Und stieß seine Klinge geradewegs
ins Ziel.
Was dann geschah, begriff er auch später noch lange nicht so recht. Plötzlich stand Kara nicht mehr dort, wo er sie soeben
noch eindeutig gesehen hatte – und
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