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Das erste Schwert

Titel: Das erste Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kashina
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eines Wachmanns Mantel die Meute unweigerlich zu Tildon und dessen Gefährten
     führen.
    Der Regen tröpfelte nur mehr vom Himmel, und mit dem Sturm schienen sich auch die tiefsten Schatten der Nacht verzogen zu
     haben. Evan führte seine Reitechse die Herrscher-Straße entlang; weit genug vermochte er die vor ihm liegende Wegesstrecke
     einzusehen. Wäre die Gestalt in den Schatten eines Torweges reglos geblieben – er hätte sie nicht bemerkt. Doch wurde bei
     seinem Näherkommen ein kapuzenbedeckter Schädel allzu hastig zurückgezogen.
    Er verriet sich weder durch abruptes Innehalten, noch durch allzu hastiges Aufsitzen. Ganz ruhig ordnete er mit der Linken
     die Zügel seines Reittiers, während die Rechte unter dem Mantel zum Schwertgriff zuckte. Noch immer hoffte er, er möge es
     nur mit einem gewöhnlichen Dieb zu tun haben.
    |525| Die Gestalt im Dunkel war wie ein Spuk verschwunden. Für einen Moment stand Evan wie vom Donner gerührt mit um den Schwertgriff
     gekrampfter Hand. Nichts. Nicht die mindeste Bewegung. Verlassen lag der Durchgang, so sehr er die Augen auch anstrengte.
     Er ging schneller, er hielt mit kurzen, geschmeidigen Schritten auf den Torweg zu und zerrte die unwillig zischelnde Echse
     hinter sich her. Er musste Gewissheit haben! Atemzüge. Er meinte Atemzüge zu hören. Ein winziges Stahlklirren. Und hatte den
     Torbogen erreicht und spähte um die Ecke.
    Ein kleiner Platz breitete sich vor ihm aus.
    Ein Platz voller stählerner Gestalten. Stachelbewehrte Helme blitzten kalt im Widerschein der ersten Sterne, die sich nun
     am Himmel zeigten. Nicht einer aus dieser Armee regte sich. Wie Schachfiguren standen sie; Schachfiguren auf einem riesengroßen
     Brett.
Die Stählernen Ritter.
    Ein gutes Dutzend. Langsam, leise, wich er, die Hand auf die Nüstern der unruhig tänzelnden Echse gelegt, zurück.
In den Sattel mit dir!,
brüllten seine Überlebensinstinkte allesamt. Die Ritter waren abgesessen. Und wiewohl die stählerne Rüstung als Schutzpanzer
     von unschätzbarem Wert war – so machte sie denjenigen, der sie trug, doch unendlich langsam, wenn es galt, sich in den Sattel
     zu schwingen und wie der Teufel davonzureiten. Wenn es ihm gelang, sie von hier wegzulocken, in den dunklen Straßen der großen
     Stadt unterzutauchen –
    Weiter kam er nicht in seinen Überlegungen. Die Kapuzengestalt erschien wie aus dem Straßenpflaster emporgewachsen so dicht
     neben ihm, dass er ihren Atem zu spüren glaubte. Überraschung und Schock kosteten ihn wertvolle Zeit.
    »Nicht so schnell, Eure Erhabenheit!«, raunte eine Stimme tonlos.
    »Bruder Pavlos?«, rief Evan aus und suchte in den Kapuzenschatten vergebens nach einem Gesicht. »Was, zum   –«
    |526| Zu spät bemerkte er des Priesters Hand, die mit zauberischer Schnelligkeit aus den Falten der Robe hervorzuckte. Geradewegs
     auf sein Gesicht zu. Ihm etwas entgegenstreckte.
    Es war ein kleines Fläschchen aus dunklem Glas. Entkorkt.
    »Was ist   –, begann Evan – und brachte die Frage nie zu Ende. Seine Zunge wurde schwer, viel zu schwer, als dass sie noch Worte hätte
     formen können. Sein Mund trocknete aus. Verwandelte sich in Holz. Seine Beine gaben nach. Nass glänzendes Straßenpflaster
     wölbte sich ihm entgegen. Noch immer herrschte Totenstille.
    Jedoch wimmelte es in der bislang dunklen Straße nun mit einem Mal von Getuschel, flackernden Lichtern, alptraumhaften stählernen
     Kolossen, bis es nur sie noch gab, bis sie ihn mit solch erstickender Macht niederzwangen und unter sich begruben, als sei
     aus dem Himmel über Tandar ein großes, großes Stück herausgebrochen und auf ihn herabgestürzt.

Die Heilige Stadt
    In einer rot-goldenen Feuerlohe erhob sich die Sonne über die Gebäude, steil ragende Giebel und Türme, welche vor ihnen im
     Morgendunst schwebten. In schimmernden Kaskaden brach sich ihr Licht in den gewaltigen Mauern, Glockentürmen und Kuppeldächern
     des großen Shal Addim-Tempels im Herzen des Klosters und brachte des Tages Helligkeit über die Wohngebäude, Gasthäuser und
     Basare, die sich in seinen drohenden Schatten duckten, und die Straßen, Gassen, Plätze und selbst die düsteren Hinterhöfe
     schienen mit einem Schlag lärmend zum Leben zu erwachen.
    |527| Niemand musste Skip erklären, was er dort vom Oberdeck der
Glücksgöttin
aus erblickte. Er wie auch jeder seiner Gefährten wusste hinreichend über die Heilige Stadt Aknabar Bescheid, das Herz der
     Heiligen Kirche, das hier, an der

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