Das erste Schwert
regieren, Mutter. Davon abgesehen – bisher
hat er auch ohne uns recht gut überlebt.«
»Das wissen wir nicht, Magister. Wir können nur beten.« Ihre Lippen zuckten, und sie wandte das Gesicht ab. »Ich frage mich,
welche Neuigkeiten wir vom Hochgebieter Roderick Dornbard erhalten«, fügte sie nach kurzem Innehalten noch an.
Der Magister schwieg mit ihr. Dann sagte er leise: »Wäre er noch am Leben, hätte er uns inzwischen eine Nachricht |152| zukommen lassen. Mittlerweile müsste sogar unser ... zweiter Bote die Haindörfer erreicht haben. Vielleicht hätten wir keinen Edelmann schicken sollen.« Egey Bashi hob die
Brauen. In den Tiefen seines Herzens war er fest überzeugt, dass Adlige schwache und hilflose Geschöpfe waren, lebens- und
überlebensfähig allein dank ihrer weit fähigeren Diener. Jedoch keiner der anderen teilte diese seine Ansicht. Als es darum
ging, den Hochgebieter Roderick als Boten in die Waldlande zu entsenden, war er sechs zu eins überstimmt worden.
»Dennoch«, beharrte die Mutter Bewahrerin. »Wir müssen warten, bis wir Gewissheit haben. Wir können es uns nicht leisten,
allein aufgrund von Mutmaßungen zu handeln. Zu viel steht auf dem Spiel.«
Egey Bashi schnaubte höhnisch. »Falls das Schwert in jemandes Hände fällt, der uns nicht gewogen ist, gilt dies auch für die
Karte!«, sagte er. »Wir müssen jetzt mit dem Schlimmsten rechnen.«
Abermals ritten sie längere Zeit stumm nebeneinander her. Die Straße wand sich nun inmitten weiter Wiesen einen sanft geschwungenen
Hang empor. Sie näherten sich einer großen Kreuzung; trotz der Ferne war sie bereits deutlich zu erkennen.
Die Mutter Bewahrerin wechselte das Thema. »Ich frage mich, wo der Allehrwürdige Haghos jenen Erben, den Hochgebieter Edmond,
ausfindig gemacht hat. Mir kam er wie ein lebender Toter vor.«
»Auch darauf hoffe ich bald eine Antwort geben zu können«, sagte der Magister, und seine Wangenmuskeln zuckten. »Mein Besuch
im Kloster der Heiligen Stadt Aknabar ist längst überfällig. Ich glaube, dass dort etwas vor sich geht, was die Kirche bis
in ihre Grundfesten erschüttern würde, wenn es ans Licht käme.«
Die Mutter Bewahrerin hatte ihm nicht zugehört – oder |153| wollte sich in ihrem Gedankengang nicht stören lassen. »Mich würde insbesondere die wahre Abstammung des Hochgebieters Edmond
interessieren«, murmelte sie. »Darin muss der Schlüssel zum weiteren Vorgehen des Allehrwürdigen liegen – wie er die Drei
Häuser dazu bewegen will, den neuen Erben zu akzeptieren.«
»Wenn er tatsächlich in den Besitz des Schwertes gelangt – sei es nun echt oder falsch –«
»Was auch immer dem Hochgebieter Roderick widerfuhr, unser zweiter Bote kann nicht scheitern, Egey Bashi. Er
wird
nicht scheitern.«
»Es sei denn, er begegnet einem Ebenbürtigen, Mutter.«
Ihr Kopf ruckte herum, Aufruhr flammte in ihren Augen, ganz kurz. Eine Weile sagte keiner von ihnen mehr etwas.
Sie erreichten die Straßenkreuzung, in deren Zentrum ein gewaltiger Felsblock in der Sonne glühte, und zügelten die Pferde.
»Versprich mir, Egey Bashi«, sagte sie, »dass du sehr vorsichtig sein wirst. Versprich mir, dass ich dich wiedersehe.«
»Ich verspreche es, Eyandala«, sagte er ernst, und sein Blick tauchte in den ihren. Dann beugte er sich, einer Eingebung folgend,
vor und seine sonnenverbrannte, bärenhaft große Hand legte sich zart auf ihre sahnehelle Haut. »Ich werde vorsichtig sein,
aber dasselbe erwarte ich auch von dir.«
Sie hielt seinen Blick noch ein wenig länger fest, dann senkte sie die Augen und sah plötzlich sehr verwundbar aus. »Wenn
der Hochgebieter Roderick wirklich versagt und seine Aufgabe nicht erfüllt hat, dann dürfen wir jetzt keine Zeit mehr verlieren,
Egey Bashi«, flüsterte sie. »Ich muss schnellstens zurück in die Weiße Zitadelle. Und du musst deinen Plan weiter verfolgen.«
Sie wechselten einen weiteren langen Blick. Dann zog jeder sein Pferd herum und ritt davon – sie nach Norden, den |154| Bergen entgegen, er dem Leuchten des fernen Sees Ellitand zu, der für menschliche Augen kaum wahrnehmbar im Süden schimmerte.
Keiner von ihnen blickte zurück.
Der Gorg’tal
Der Dämon, der sich ihnen in den Weg gestellt hatte, stieß ein wildes, weithin rumpelndes Grollen aus und riss die stachelige
Keule hoch. Die übergroße Waffe bereitete ihm nicht die geringste Mühe, und Skip zweifelte nicht daran, dass man damit selbst
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