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Das erste Schwert

Titel: Das erste Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kashina
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hier – um Ayalla zu besuchen.«
    Erle wollte etwas erwidern, doch Ellah und Kara waren bereits auf den Füßen und eilten auf den Höhleneingang zu.
Wenn Ellah das schafft, dann schaff ich’s auch!,
dachte er. Ein Schauer rieselte ihm übers Genick, dann richtete er sein Augenmerk ganz darauf, vom Boden hochzukommen, ohne |211| seine schmerzende Schulter zu sehr zu belasten. Schon im nächsten Moment musste er sich bücken, um nicht mit dem Kopf an den
     dichten, klebrigen Vorhang aus Spinnweben anzustoßen. Hauchzart wogten die Gespinste über ihm und um ihn herum. Verfilztes
     Astwerk knarrte und knackte wie lebendig.
Vielleicht halten hier nicht nur die Spinnen Wacht, sondern auch dieser Baum,
durchzuckte es ihn. Garnald, Kara und Ellah waren nicht mehr zu sehen. Überall Spinnen und Äste – es schien kein Ende nehmen
     zu wollen. Erle hielt die Luft an, bis ihn unversehens der klaffende Eingang der Höhle aufnahm. Die Wände ringsum bewegten
     sich, fast meinte er, das trockene Knistern der Spinnenbeine zu hören. Keuchend vor Anstrengung, hielt er den Blick geradeaus
     gerichtet. Ohnedies hätte er weder umkehren noch langsamer werden
können
. Erst jetzt fiel ihm ein, dass Kara
hinter ihm
sein musste – hatte sie draußen doch ihre Stute noch anleinen müssen. Nie im Leben würde er’s über sich bringen, vor ihr seine
     Angst zu zeigen!
    Plötzlich weitete sich das kühle Dämmerlicht des Erdstollens vor ihnen, und hinter Garnald und Ellah trat er in einen großen
     Raum.
    Fast sofort erblickte er Skip. Sein Bruder saß an einem derb gezimmerten hölzernen Tisch; er hielt mit beiden Händen einen
     Becher umfasst. Und blass sah er aus, abgespannt. Und er starrte vor Schmutz. Aber er war unversehrt. Kurz hob er den Kopf
     und erwiderte Erles Blick, und wie stets verstanden sie es, ohne Worte Zwiesprache zu halten.
Es ist alles gut,
versicherten sie einander mit diesem Blick.
    Jetzt erst riss Skips Tischnachbarin Erles Aufmerksamkeit ganz und gar an sich. Ihm stockte der Atem. Freilich war er dank
     Garnald darauf vorbereitet gewesen, hier, im Leib der Erde, eine Frau anzutreffen. Und aus Baba Yagnas Erzählungen wusste
     er, dass sie schön war. Und doch –
    Sie war die allerschönste Frau, die Erle jemals gesehen |212| hatte. Er war kein romantischer Schwärmer wie Skip, aber die unirdische Schönheit der Waldfrau war mehr, als er zu ertragen
     vermochte.
    Sie war sehr groß, fast so groß wie er, und sehr schlank. Und muskulös. Selbst jenen langsamen Bewegungen, mit denen sie nun
     ihren Becher abstellte und sich den Neuankömmlingen zuwandte, wohnte eine gewaltige Kraft und Grazie inne, und nichts wünschte
     sich Erle in diesem Augenblick sehnlicher, als anstelle schwelgender Gefühle
Worte
zu haben, um seiner Bewunderung Ausdruck verleihen zu können.
    Ihr Gesicht   ... es war über alle Maßen perfekt. Schmal und bleich, mit vollen Lippen und mandelförmigen Augen, deren dunkles Blau ihn
     an tiefe Wasser unter einem strahlend schönen Frühlingshimmel denken ließ. Hätte er nur gewusst, dass die Waldfrau
so
wunderschön war!
    »Komm zu mir, Junge«, sagte sie mit tiefer, liebkosender Stimme. »Setz’ dich zu mir. Vielleicht bist du ja derjenige, den
     ich die ganze Zeit wollte.«
    Und Erles Füße gehorchten, bevor er noch wusste, wie ihm geschah. Er ließ sich auf dem Stuhl neben ihr nieder; sie roch nach
     mit Honig gesüßten Efeuknospen und frischem Seenwasser. Tief atmete er ihren Duft ein und nahm den Birkenbecher mit der Ehrerbietung
     eines Novizen entgegen.
    »Dein Bruder hat mir schon von dir erzählt, Erle«, sagte sie. »Ja, vielleicht bist du der Eine. Sag’ mir, ist das hier dein
     Schwert?«
    Erle drängte den Zustand der Verzückung zurück und starrte auf die quer über ihrem Schoß ruhende Klinge hinab. Der Griff war
     von der ledernen Umwicklung befreit, das kunstvolle Wellenmuster, die zum Schutz der Schwerthand nach außen gewölbten Blätter
     schimmerten im Zwielicht der Höhle.
    Er hörte, wie Kara hinter ihm ein einziges Mal hastiger |213| atmete, und ignorierte die Olivianerin. Sie kam ihm so bedeutungslos vor in Ayallas Gegenwart.
    »Unser Vater gab das Schwert in unsere Hände«, hörte er sich sagen.
    »Euer Vater«, flüsterte Ayalla sinnierend. »So ist er also ein König?«
    »Unser Vater ist ein Schmied«, antwortete Erle überrascht.
    »Ein Schmied«, wiederholte sie träumerisch. »Dasselbe behauptete auch dein Bruder. Doch wenn er ein Schmied ist, wie kam

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