Das erste Schwert
alles,
alles!,
preisgab, was sie seit ihrer unglückseligen Reise in die Sumpfstadt erlebt hatten. Zwei Tage waren erst seither vergangen,
aber ihm kam es wie eine Ewigkeit vor.
Sie unterbrach ihn kein einziges Mal, nur ihr Blick nahm wieder einen abwesenden Ausdruck an. Dann und wann nickte sie, trotzdem
fragte er sich, wieviel sie tatsächlich noch hörte von dem, was er sagte.
Als er die Priester erwähnte, und wie sie ihnen auf jenem unscheinbaren Trampelpfad in den Pfuhl gefolgt waren, hob sich Ayallas
Gesicht mit einem so heftigen Ruck, dass er erschrocken innehielt. »Die Priester«, flüsterte sie, während sie auf eine Art
und Weise durch ihn hindurchsah, die ihn frösteln machte. »
Du
hast sie also mitgebracht, Junge. Menschen dieses Schlages sind nicht willkommen hier. Niemals werden meine Kinder sie in
Frieden ziehen lassen. Warum hast du das getan?«
Plötzlich machten ihm ihre Augen Angst, und er nahm seinen ganzen Mut zusammen. »Ich hab sie nicht mitgebracht, Ayalla«, sagte
er. »Sie haben Jagd auf uns gemacht, und wir wollten sie abschütteln. Deshalb sind wir in den Pfuhl geflüchtet. Nie hätten
wir gedacht, dass uns die Priester folgen.«
»Priester«, wiederholte sie düster. »Gefangen genommen |209| haben sie die Mutter des Waldes, vor langer Zeit. Meine Kinder haben sie zu dem gemacht, was sie sind ...« Ihr Blick ruhte nun auf der Tischplatte, alles Leben schien aus den Indigoaugen gewichen; doch sie entspannte sich.
»Wer sind Eure Kinder?«, fragte Skip sanft.
Sie ging nicht darauf ein. »Viele habe ich«, hauchte sie nur. Distanziert war ihre Stimme jetzt, und ihre Miene kalt. »Ich
bin die Mutter des Waldes.«
Skip musste an Dabar denken und schwieg. »Warum ich?«, fragte er stattdessen. »Und was ist mit meinen Freunden? Sind sie in
Gefahr? Kann ich zu ihnen zurück?«
Augen wie aus Glas taxierten ihn; indigoblaue Teiche. »So stark sind deine Alpträume«, sagte sie. »So stark, dass meine Kinder
einen Fehler begangen haben. Nicht du bist derjenige, nach dem ich suche. Warum ließ man dich weiterleben?«
Sie lagen bäuchlings hinter einem großen Felsen und starrten den Höhleneingang an, der gut getarnt hinter dem dichten Ästegestrüpp
eines Schlangenholzbaumes lag.
»
Das
ist die Behausung der Waldfrau?«, staunte Ellah.
»Wieso nicht?«, fragte Garnald mit einem glucksenden Lachen.
»Worauf warten wir noch?«, drängelte Erle. Er wünschte, sie würden einfach aufstehen und den Spießrutenlauf durch den Baum
hinter sich bringen. Nichts dort drüben sah allzu gefährlich aus. Warum also hatte Garnald darauf bestanden, dass sie sich
erst einmal versteckten?
Plötzlich löste sich eine Gestalt aus der verfilzten Krone des Schlangenholzbaumes. Eine Spinne, so groß wie zwei Männerfäuste.
Der Faden, den sie spann, war so dick, dass sie ihn selbst aus ihrem Versteck heraus zu sehen vermochten – nicht weniger als
fünfzig Schritt entfernt.
»Darauf«,
wisperte Garnald.
|210| Eine weitere Spinne krabbelte über einen sacht pendelnden Ast herab und gesellte sich der ersten zu.
»Sind sie giftig?«, wollte Ellah wissen; sie hatte es nur geflüstert, trotzdem war es nur allzu offensichtlich, dass ihre
Lippen beinahe versagten.
»Tödlich.« Erle warf ihm einen alarmierten Seitenblick zu. Täuschte er sich, oder schwang in Garnalds Stimme tatsächlich eine
ganz merkwürdige Zufriedenheit? »Ihr Gift könnte euch im Nu in einen Klumpen Matsch verwandeln. Es gibt kein Heilmittel dagegen.
Sie sind die Wächter.«
Er nahm eine zierliche Holzflöte zur Hand und begann darauf zu spielen. Die Melodie war freilich nichts als ein merkwürdiges
Zischen und Schrillen, das Erle noch mehr auf die Nerven ging. Zu insektenhaft kam es ihm vor. Erle hasste Insekten.
Sei es nun Garnalds Flötenspiel zu verdanken oder irgend etwas anderem – plötzlich jedenfalls wimmelte es im Geäst des Baumes
von Spinnen. Von überallher schwebten sie an dicken Fäden blitzartig herab, haarige Beine zuckten und stießen und krabbelten,
und binnen weniger Atemzüge hatten sich die Kaskaden des Ästegewirrs unter der Flut wimmelnder Leiber schwarz gefärbt, und
ein lebender Vorhang bewegte sich sacht vor dem Höhleneingang.
»Jetzt können wir gehen«, sagte Garnald und senkte die Flöte.
»Wohin?« Erle starrte gebannt auf die krabbelnde, zuckende, wogende Masse.
»Da hinüber. Und dann in die Höhle hinein«, sagte Garnald. »Deshalb sind wir doch
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