Das erste Schwert
als Fragen wollten ihm über die Lippen stürmen – und so zügelte er sich und blieb stumm.
|206| »Ein ganz Vorsichtiger?«, fuhr Ayalla mit ihrem Selbstgespräch fort. »Oder ein Schwachkopf, möglicherweise? Wie mag so einer
in den Besitz des Schwertes gekommen sein; und ist es überhaupt rechtens, dass er es trägt? Vielleicht ja, oder doch eher
nein?«
Skip blinzelte ungläubig, denn nun reichte es ihm. »Wie könnt Ihr all das wissen, Ayalla?«, herrschte er sie an. Und so merkwürdig
fühlte er sich dabei.
Frei
. Es war, als habe er seine Furcht irgendwo unterwegs, in der Finsternis, verloren.
Ayalla hob den Kopf und sah ihn mit plötzlich ganz klarem Blick an. Offenbar war sie es nicht gewohnt, von einem hilflosen
Gefangenen auf solch eine Art und Weise angesprochen zu werden. »Ein Tapferer, dieser Junge«, flüsterte sie. »Eine Flamme
trägt er im Inneren, und sie passt zur Flamme des Schwertes. Vielleicht also
ist
es sein Recht, sie zu tragen. Aber warum hat er dann Alpträume?«
»Woher wisst Ihr von meinen Alpträumen?« Er schrie es fast. Dieses unwirkliche Frage-und-Antwort-Spiel ermüdete ihn. Und es
machte ihn wütend.
Ayallas indigoblaue Augen sahen ihn an, und aus tiefsten, dunkelsten Abgründen brach eine Woge reinster Weisheit und Kraft.
»Du hast blaue Augen, Junge«, sagte sie ruhig. »Aber deine Haare passen nicht dazu.«
Skip seufzte. »Was hat das mit irgendetwas zu tun?«, fragte er. »Ihr sagt Dinge, die ich nicht verstehe, Ayalla, und das ist
nur Zeitverschwendung. Warum sagt Ihr mir nicht einfach, was Ihr von mir wollt – und lasst mich wieder zu meinem Bruder und
meinen Freunden gehen? Bestimmt sind sie ganz krank vor Sorge, weil ich einfach verschwunden bin.« Waldfrau hin oder her –
er war entschlossen, sich nicht geschlagen zu geben.
Die Klinge in Ayallas Händen verströmte ihr übliches schwaches Licht. Selbst über diese Entfernung hin schien sie ihm Kraft
zu spenden. Skip holte tief Luft, hob den Blick zu |207| Ayallas Gesicht – und bemerkte zu seiner Überraschung, dass sie lächelte.
»Du wirst noch erfahren, was ich will, Junge«, sagte sie. »Aber vielleicht bist nicht du derjenige, von dem ich es will.«
Sie betrachtete ihn einen Moment lang aufmerksam, und ihr Gesicht wurde weich. »Setz dich, trink Tee mit mir.« Fast hörte
sie sich nun wie Baba Yagna an, freundlich und sanft. »Erzähl mir deine Geschichte.«
Sie ging zu dem Schrank in der Ecke des Raumes und nahm eine Kanne und zwei Becher aus Birkenrinde heraus; dann ließ sie sich
auf einem der Stühle nieder, zog ihn nahe genug an den Tisch heran und bedeutete Skip, es ihr gleichzutun. Die Flüssigkeit,
die sie ihm einschenkte, war so bräunlich wie das Wasser des Teichs, das er gestern getrunken hatte. Winzigste Zweiglein und
Blätter schwammen darin. Skip starrte das Getränk misstrauisch an. Er glaubte nicht, dass es ihm möglich sei, auch nur einen
Schluck davon hinunterzuwürgen.
»Trink!«, forderte Ayalla ihn mit mütterlicher Strenge auf. »Und hab keine Angst. Es wird dir gut tun. Du brauchst Nahrung.«
Tatsächlich spürte Skip plötzlich, wie hungrig und durstig er war. Er hatte seit gestern Abend nichts mehr gegessen. Zumindest,
falls er
tatsächlich
nur eine Nacht lang bewusstlos gewesen war. Er bedachte den Becher mit einem weiteren langen Blick.
»Dich zu vergiften, hab ich nicht vor«, sagte Ayalla, und unversehens klang ihre Stimme nun distanziert. »Aber selbst wenn,
so könntest du nichts dagegen tun, das müsste dir eigentlich klar sein. Und nun zum letzten Mal, Junge – trink den Becher
leer und erzähl mir deine Geschichte. Die Mutter des Waldes ist es nicht gewohnt, dass man sie warten lässt.«
Mit zittrigen Händen nahm Skip den Becher und trank. Seltsamerweise war das Getränk warm, als habe die hölzerne |208| Kanne ihren Inhalt ganz ohne Feuer erhitzt. Und es schmeckte tatsächlich wie süßer Tee. Erst im Nachhinein glaubte er, auch
frisches Erdreich darin wahrzunehmen.
Wohlschmeckend
war das Gebräu nicht gerade, aber doch ... belebend. Jedenfalls versuchte er sich das einzureden. Und zu seinem großen Erstaunen besserte sich sein Kopfweh bereits
nach dem ersten Schluck, und die Mattigkeit wich einem Gefühl neuer Kraft.
Und nun sollte er also erzählen. Er war sich nicht sicher, wieviel er Ayalla sagen durfte – doch nicht lange, und er ertappte
sich dabei, dass er wie ein Wasserfall redete und
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