Das erste Schwert
lockte bereits jenes liebenswert-vergnügliche Gesumme im Kopf hervor, das er sich so
herbeigesehnt hatte, und entspannte seine müden Muskeln. Es war ein harter Tag gewesen.
»Ich sag’sss dir noch mal, Tild«, brummte Papa Wold mit schwerer Zunge und unterstrich jedes einzelne Wort mit |226| einem von Herzen kommenden Klaps auf seine Schulter. »Der Zustand, den wo wir hier haben, is’ wie eine brandige Wunde, ja,
so nenn’ ich das. Brandig.«
Und wie ein Verdurstender hob er den eigenen Krug an die Lippen, der, wie Tildon sehr wohl wusste, ein weit stärkeres Gebräu
als nur Wein enthielt. Papa Wold lebte allein. Er hatte keine Frau, die seinen schlechten Atem schon hundert Schritt gegen
den Wind
witterte
und ihm, kaum dass er die Haustür öffnete, Sätze entgegenschleuderte wie: »Trinkst du wieder, Tild, ja? Hast du’s wieder getan?
Wie viele Krüge waren es heute? Viele! Ich riech’s doch! Du säufst dich um dein letztes bisschen Verstand und uns beide um
Hab und Gut! – Oh, Shal Addim, was hab ich nur getan, dass mir dies aufgebürdet ist? Hätte mir Vater Gernos nur gestattet,
Neal zu heiraten, wie ich wollte!« Und so weiter, und so weiter.
»Hörsss ’tu mir überhaupt sssu, Tild?«, lispelte Papa Wold neben ihm. »Was isss’ los mit ’ir, Junge?«
Gar nichts ist mit mir los, alter Mann,
hätte Tildon ihn am liebsten angefahren.
Ich hab’s nur satt, dir dabei zuzusehen, wie du dich besäufst und ganz und gar unnötig so einen Wind drum machst, wie schlecht
es um alles im Königreich Tallan Dar steht. Und manchmal, manchmal wünschte ich, du und ich und wir alle könnten uns endlich
aufraffen und etwas anderes tun, als uns nur sinnlos zu besaufen. Dass wir uns wie in alter Zeit erheben und unseren König
verteidigen und die Rechte seines königlichen Geschlechts!
Doch laut sagte er nur: »Ich hör’ zu, Papa. Verzeih.«
Papa Wold schien besänftigt. »Also, ich hab dir gesagt, Tild, dasses in einer Zeit wie dieser, in der’s die drei herrschenden
Häuser mit vereinter Kraft nicht schaffen, einen Erben zustande zu bringen, dasses da höchs’e Zeit is’, dass die niedrigeren
Häuser sich um die Thronfolge kümmern. Uns’r lessster König war eine Mario’ette ... eine Zappelpuppe der |227| Kirche. Und schau dir bloß an, wohin sie unsss ’ebracht haben mit ihr’n
Zuchtvieh-Gesetzen
. Sssittlichkeits- und Fortpflanzungsgesetze – hah! Drei Adelshäuser und kein einziger lebender Erbe!«
»Du bist nicht mehr ganz auf dem neuesten Stand, Papa. Dem Hohen Konzil wurde ein Erbe präsentiert – der Hochgebieter Edmond
nämlich, und er soll vom Haus Ellitand abstammen«, sagte Tildon mit gemäßigter Stimme. Plötzlich hatte er nur noch einen Wunsch
– dass Papa Wold seine Meinung nicht mehr gar so lärmend kundtat. Solch ein Gespräch konnte ihnen einen gewaltigen Haufen
Ärger einbringen, auch wenn die in unmittelbarer Nähe an der Theke Stehenden beipflichtend nickten.
»Echsssenscheiße!«, donnerte Papa Wold. »Du glaubsssten Mist doch wohl nich’, den diese Kassstrat’n verbreiten?«
»In Shal Addims Namen, Papa!«, zischte Tildon und brachte sein Gesicht sehr nahe an das des alten Mannes heran. »Halt’s Maul.
Wir stehen hier an einem Schanktresen im Herzen der Kronstadt, in einer Taverne, die voller Leute ist! Hast du denn heut’
nicht die Heerscharen der Heiligen Krieger in den Straßen gesehen? Dann musst du schon seit dem Morgen sturzbetrunken sein!«
Klein und glänzend richteten sich Papa Wolds Augen einen Moment lang auf ihn, und Tildon gewahrte voller Erleichterung schließlich
doch noch einen Funken Vernunft in den blutunterlaufenen Tiefen.
»Esss ’is spät geword’n, Junge«, brabbelte der alte Mann, stützte sich schwer auf Tildons Schulter und drehte sich in einer
wackeligen Pirouette vom Tresen weg.
»Ich muss auch gehen«, sagte Tildon hastig. »Also, Abmarsch, Papa.«
Der alte Mann stierte ihn abermals an. Dann griff er zielstrebig hinter sich, riss seinen Krug von der Theke hoch und leerte
ihn auf einen Zug.
|228| »Komm, Junge!«, krächzte er und stolperte zur Tür und ins Freie hinaus.
Es war tatsächlich spät geworden. Verlassen lagen die Straßen; gelegentlich nur sah man noch einsame Gestalten dicht an den
Wänden der stillen Häuser entlang eilen. Wie in jeder großen Stadt spülten auch in Tandar die Nachtschatten verbrecherisches
Gesindel aus düsteren Kellern und Katakomben an die Oberfläche
Weitere Kostenlose Bücher