Das erste Schwert
öffnete; oder zumindest das Tentakelgestrüpp und die gewaltigen Ulmen der Hecke und dahinter die im hellen
Sonnenlicht wogenden Or’hallas. Doch als er die Lider blinzelnd hob, war alles beim Alten – natürlich. Er empfand nichts.
Sie waren nicht weit von zuhause, doch der Pfuhl kam ihm so fremd und so fern vor wie eine andere Welt.
»Erle«, rief er leise zu seinem Bruder hin, der nicht weit von ihm entfernt lag. »Hoch mit dir. Komm, geh’n wir schwimmen.«
Erle drehte den Kopf und Skip erkannte verdutzt, dass sein Bruder hellwach war. Doch sah er mit leerem Blick durch ihn hindurch.
Plötzlich war Skip inwendig ganz winterkalt vor Sorge. »Was ist los?«, wollte er wissen. Noch nie hatte er Erle in einer solchen
Verfassung erlebt.
»Hmmm?« Erst jetzt schien der Bruder mitzubekommen, dass er mit ihm geredet hatte.
»Ist alles in Ordnung mit dir?«, flüsterte Skip beunruhigt.
»Mir geht’s gut.« Erles Stimme ließ einige Zweifel daran aufkommen, ob er die Frage überhaupt vernommen hatte.
»Geh’n wir schwimmen«, sagte er noch einmal und stand auf. Er fühlte sich wach und von neuer Kraft erfüllt.
Erle wischte sich übers Gesicht. »Du gehst«, bestimmte er nach kurzer Stille. »Ich war schon. Mir ist nicht mehr danach.«
Skip starrte ihn an; der Bruder kam ihm sonderbar vor.
Verändert.
»Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist mit dir?«, fragte er noch einmal.
Nur ein Nicken erhielt er zur Antwort.
|234| Er genoss es, alleine zu schwimmen und kehrte zur Lichtung zurück; auch die anderen erwachten nun. Nachdem sich alle gewaschen
hatten, bemerkte Skip eine Bewegung am Saum des Waldes, und Ayalla trat, in eine wunderschöne weite Robe gehüllt, unter den
Bäumen hervor. Sie trug einen Korb bei sich.
»Wie habt ihr geschlafen?«, erkundigte sie sich.
Skip brachte es nicht über sich, ihr in die Augen zu sehen. Allein ihre Stimme zu hören, machte ihn frösteln.
»Du musst sterben!«,
hörte er sie immer noch gespenstisch in sich nachhallen. Mit einem gequälten Lächeln dachte er:
Ich weiß, es war nur ein Traum. Nur ein Traum.
Jetzt, im hellen Licht des Tages, klang sie nahezu menschlich, diese Stimme. Und auch Ayalla kam ihm anders vor als noch gestern
Abend. Sie wirkte – weicher, vielleicht? Weiblicher.
»Ich bringe euch euer Frühstück«, sagte sie schlicht, als habe sie sich Ellahs Ausdrucksweise angeeignet. »Und –« Sie wandte sich Skip zu – »für dich habe ich auch etwas dabei, Kind der Alpträume.«
Sie schlug die Robe auseinander, und darunter trug sie, wie gestern, jenes fließende Gewand aus Gras und Rindenstückchen.
Und – Skips Schwert, es steckte wohlgeborgen in der Scheide. Der Griff war wieder mit der ledernen Karte umwickelt.
»Du kannst es wiederhaben«, sagte sie. »Alles in allem mag es rechtens sein, dass du es trägst. Und für die Mutter des Waldes
ist es nicht von Nutzen.«
Sie breitete eine aus Gras gewobene Decke aus, ließ sich anmutig darauf nieder und packte aus, was sie im Korb bei sich trug:
hölzerne Teller, eine ebenfalls hölzerne Kanne voller Tee, weiße, fleischig aussehende Beeren und etwas, das noch am ehesten
an Pfannkuchen erinnerte – Pfannkuchen aus Lehm allerdings.
Genau das Richtige für ein Picknick,
|235| dachte Skip mit Galgenhumor. Doch das gestrige Abendessen war ihm eine Lehre gewesen und außerdem empfand er Dankbarkeit wegen
der Rückgabe des Schwertes – also zwang er sich, unter den Ersten zu sein, die zugriffen und die Pfannkuchen kosteten. Sie
schmeckten wie aus süßem Teig gemacht und mit einer Prise Erdreich gewürzt.
Neben ihm verschlang Erle nicht weniger als ein Dutzend davon – ungeachtet des Geschmacks. Einmal mehr wunderte sich Skip,
was mit dem Bruder nicht stimmte.
Sobald sie die Mahlzeit beendet hatten, stand Ayalla auf.
»Kommt!«, sagte sie, nun wieder mit distanzierter Stimme. »Zeigen will ich euch, was ihr sehen wolltet.«
Sie setzte sich in Bewegung, geschmeidig wie Morgennebel, und tauchte bereits in den Schatten der hohen Bäume ein. Hastig
rafften die Gefährten ihre Habseligkeiten zusammen und eilten hinter ihr her. Ein Pfad tat sich vor ihr auf, und sie folgte
ihm, ohne sich auch nur einmal nach ihnen umzudrehen.
Abermals passierten sie den dunkel gähnenden Eingang zu Ayallas Behausung unter dem Hügel. Kara löste Shadows Haltestrick
und führte sie nun wieder am Zügel mit sich; noch oft spähte die Stute wehmütig zu ihrem saftigen Weidegrund
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